von Rainer » 12. September 2010, 11:17
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KAMMERGERICHT
Beschluß
Geschäftsnummer:
2 Ws 28/10 REHA • (551 Rh) 3 Js 2/07 (491/06)
I.
Das Objekt Rüdersdorf und die Einweisungskriterien
1. Das Objekt Rüdersdorf, bei dem es sich entgegen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft keineswegs um ein Heim handelte, wurde am.27. November 1966 auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Magistrat von Groß-Berlin (Abteilungen Inneres und Volksbildung), des Generalstaatsanwalts von Groß-Berlin sowie des Präsidenten der Volkspolizei geschaffen. Es verfügte über 45 Plätze für 14 bis 18 Jahre alte Jugendliche, die von 16 Volkspolizisten unter Leitung eines Leutnants des Strafvollzuges bewacht wurden. Als rechtliche Grundlage der Schaffung und Einweisung wurden §§ 22, 23 der Verordnung über die Jugendhilfe und Heimerziehung herangezogen. Die Einweisung erfolgte zunächst und im hier in Rede stehenden Zeitraum - ohne gerichtliches Verfahren - durch die Referate der Jugendhilfe.
Soweit in der politischen Konzeption für die Vorbereitung und Durchführung des VII. Parteitages der SED betont wird, daß das Objekt (lediglich) als Instrument zur Bekämpfung des Rowdy-und Arbeitsbummelantentum bei Jugendlichen dienen sollte, trifft dies nicht zu. Denn aus den vom Senat beigezogenen Unterlagen ergibt sich, daß die Unterbringung in Rüdersdorf zumindest in vielen Fällen sachfremde Zwecke verfolgte sowie der Disziplinierung diente und keinerlei Erziehungswirkung beabsichtigt war, was sich auch bereits aus der kurzen Einweisungsdauer von maximal acht Wochen ergab.
a) Nach den schriftlich gefertigten Maßnahmen auf dem Gebiet der Volksbildung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität (BArch DR 2/ 27227)
war die Einweisung in das Arbeitslager Rüdersdorf - vorgeblich - als kurzfristige Erziehungsmaßnahme gegen Jugendliche gedacht, denen die
Autorität der Staatsmacht bewußt gemacht werden sollte. Für die Einweisung genügten demnach allerdings auch Handlungen, die keine Ahndung mit Freiheitsentzug erforderten. So waren gemäß der Konzeption zur Vorbereitung und Durchführung des VII. Parteitages der SED (BStU-MfS HA XX/9 Nr. 1718, Bericht zur Aktion „Vorwärts" aus dem Jahre 1967) die Einweisungsgründe vielfältig; beispielsweise konnte undiszipliniertes Verhalten in der Öffentlichkeit ausreichen.
Es gab auch keine einheitlichen Maßstäbe für eine Einweisung, so daß sowohl Jugendliche, die in eine Jugendstrafanstalt gehörten, als auch solche, bei denen mildere Mittel ausgereicht hätten, in das Objekt Rüdersdorf eingewiesen wurden. Aus der genannten Konzeption ergibt sich weiterhin, daß der Erziehungsgedanke lediglich vorgeschoben war. Denn das Lager hatte nach den Ausführungen in der genannten Konzeption die Aufgabe einer - so wörtlich -„Schocktherapie" und sollte der Disziplinierung Jugendlicher in der Öffentlichkeit dienen. Die Höchstdauer war - unter erzieherischen Gesichtspunkten völlig ungeeignet - auf acht Wochen begrenzt. Dies war auch den Verantwortlichen klar, denn selbst die Konzeption betonte, daß die kurzfristige Einweisung keine nachdrückliche Erziehungsfunktion ausüben könne, die Jugendlichen teilweise im Zementwerk eingesetzt wurden und stets Widersprüche zwischen eingesetzten Erziehern und den Mitarbeitern der Volkspolizei, die überwiegend aus solchen des Strafvollzuges Rummelsburg gestellt wurde, bestanden.
b) Daß der Erziehungsgedanke unmaßgeblich für eine Einweisung in das Objekt Rüdersdorf war, sondern die Ausmerzung westlicher Einflüsse im Vordergrund stand, ergibt sich ebenfalls deutlich aus den weiteren Unterlagen.
Durch Erhebungen in der Zeit vom-4. August 1967 bis zum 31. Dezember 1967 (vgl. Einschätzung des gegenwärtigen Auftretens negativer Gruppierungen und der Wirksamkeit unserer Maßnahmen sowie der Auslastung und Wirksamkeit der Vollzugseinrichtung Rüdersdorf vom 30. Mai 1968 - LAB C Rep 303/26.1/491) wurde der „ideologische Zustand" der in die Vollzugseinrichtung Rüdersdorf eingewiesenen Jugendlichen festgestellt und betont, daß diese überwiegend gesellschaftlich nicht aktiv, also nicht in der FDJ waren, sondern Interesse an „dekadenter Musik" zeigten. Eine Einschätzung vom 24. Oktober 1967 (LAB C Rep. 303/26.1/491). belegt, daß Jugendliche als kriminell gefährdet gestuft und deshalb in das Objekt Rüdersdorf eingewiesen wurden, weil sie die westlichen Modeerscheinungen nachahmten, insbesondere Tanzmusik „berüchtigter" Beatkapellen hörten. So sollte den „fanatischen Anhängern von Beatmusik", die teilweise lange Haare und Abzeichen der Atomwaffengegner und anderer westeuropäischer Friedensbewegungen trugen, die Autorität der staatlichen Organe bewußt gemacht werden.
Daß die Einweisung in das Objekt Rüdersdorf - jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden - lediglich der politischen Maßregelung und zwangsweisen Umerziehung Jugendlicher diente, wird in folgender Formulierung des Oberst Messner in der genannten Einschätzung besonders deutlich: „Jugendliche, die in ihrem Verhalten und Aussehen die westliche Lebensweise propagieren und damit einen negativen Einfluß auf andere Jugendliche ausüben, müssen auf den Widerstand der Gesellschaft stoßen". Hierin wird deutlich, daß der Gedanke, Jugendliche zu selbständigen Persönlichkeiten zu erziehen, keine Rolle spielte. Beabsichtigt war vielmehr die Ausmerzung westlicher Einflüsse.
2. Bereits aus den geschilderten Kriterien, nach denen die Jugendlichen ausgesucht und in das Objekt eingewiesen wurden, wird klar, daß sich nicht systemkonform verhaltende Jugendliche zunächst kriminalisiert wurden. Anschließend sollten sie durch eine Schocktherapie mittels eines Aufenthaltes in Rüdersdorf zu willfährigen Dienern des SED-Unrechtsregimes umerzogen oder zumindest zum Schweigen gebracht werden. Daß eine derartige Demonstration von Staatsmacht nicht das Geringste mit Erziehung (oder Heimerziehung) zu tun hat, liegt auf der Hand. Die Ahndung nicht strafbaren aber mißliebigen Verhaltens durch die Einweisung in eine auch von den Organen der DDR nicht als Heim oder Jugendwerkhof sondern als Vollzugseinrichtung beziehungsweise Lager bezeichneten Einrichtung diente nicht der Ahndung strafbarer Vergehen, sondern der politischen Verfolgung. Bestätigt wird dies weiterhin durch eine Einschätzung von Arbeitsergebnissen vom
31. Dezember 1966 (BArch DR 2/51127), in der ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß eine zielgerichtete Einweisung bei bestimmten Gruppierungen {gemeint waren offensichtlich solche Gruppen, die Partys feierten und mißbilligte Beatmusik hörten) erforderlich ist.
3. Lediglich das Verdikt der politischen Verfolgung bestätigend kommt auch die Art und Weise des Vollzuges hinzu. In Rüdersdorf herrschte nicht nur strengste Disziplin, sondern die Jugendlichen mußten zumindest teilweise auch unter Bewachung durch die Volkspolizei im Steinbruch des Kalk- und Zementwerkes Rüdersdorf arbeiten. Für undiszipliniertes Verhalten wurden die Jugendlichen in ein Zimmer gebracht, welches ein
schließlich der Fensterläden verschlossen wurde. Dann wurde zur Verrichtung der Notdurft ein Kübel in das Zimmer gestellt, da die Insassen nicht auf die Toilette durften. Insoweit diente der Raum nicht der Erziehung, sondern der Erniedrigung.
4. Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob die Einweisung in das Objekt Rüdersdorf generell, also auch bei einer Reaktion auf Straftaten von Jugendlichen, rechtstaatswidrig war. Denn die vorliegende Beschwerde bildet für die Bearbeitung diese Rechtsfrage keinen Anlaß. Der Betroffene wurde keineswegs nur - wie in der Verfügung vom 4. Juli 1967 angegeben wegen Erziehungsschwierigkeiten in das Objekt Rüdersdorf ein gewiesen. Seine Einweisung diente vielmehr der politischen Verfolgung. Dies ergibt sich aus einem Informationsbericht des Ministeriums für Staatssicherheit (Hauptabteilung VIII) vom 24. April 1967. . - , Bemerkenswert ist hier zunächst, daß diese Hauptabteilung keineswegs für Jugendarbeit oder allgemeine Tätigkeiten des Ministeriums für Staatssicherheit zuständig war. Der Zuständigkeitsbereich der Hauptabteilung VIII erstreckte sich auf folgende Tätigkeiten: Observation von Personen im Zusammenhang mit der Bearbeitung operativer Vorgänge - insbesondere des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs - und (zentra ler) Aktionen;
Observationen von Angehörigen der Militärinspektionen sowie von bevorrechtigten Personen und Korrespondenten; Beobachtungen im Rahmen der Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit und des Polittourismus; Ermittlungen, Festnahmen, Durchsuchungen im Zusammenhang mit operativen Vorgängen und (zentralen) Aktionen; Sicherung und Kontrolle der Transitwege (Straße) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West und der internationalen Transitstrecken nach Polen, zur CSSR und nach Skandinavien; Ermittlung und Beobachtung im und nach dem Operationsgebiet vor allem Bundesrepublik und Berlin-West; Planung und Durchführung von Maßnahmen gegen Einzelpersonen, Personengruppen und Einrichtungen im Operationsgebiet; (auftragsbezogene). Ermittlungen gegen „operativ angefallene
Personen"; Führung von IM. Nach einer Mitteilung dieser Hauptabteilung wurde dem Ministerium von zwei Quellen berichtet, daß auch der Betroffene, in einer Wohnung Partys feierte. Die Wohnungsinhaberin soll sich zudem während dieser Zeit in der Bundesrepublik Deutschland oder in Berlin aufgehalten haben.
Hierbei ist einerseits die Ausspähung durch diese Hauptabteilung auffällig, die auch aufgrund des Befehls Nr. 11/66 des damaligen Ministers für Staatssicherheit der ehemaligen DDR -Erich Mielke - vom 15. Mai 1966 erfolgte, der eine Anordnung zur „politisch-operativen Bekämpfung der politischideologischen Diversion und Untergrundtätigkeit und jugendlichen Personenkreisen der DDR" enthielt. Ziel dieses Befehls und der Vorgehensweise war einzig, die „sozialistische Erziehung" von mißbilligten, insbesondere westlichen, Einflüssen fernzuhalten.
Andererseits fügt sich der Inhalt dieser Information genau das Bild der so genannten Einschätzungen, wonach gerade solche Jugendliche zu den kriminell gefährdeten gehörten, die Partys feierten, Beatmusik hörten sowie ihre Ablehnung des Unrechtsregimes zeigten und deshalb für die Einweisung in das Arbeitslager Rüdersdorf vorgesehen waren.
II.
Gesetzeswidrigkeit der Einweisung und des Vollzuges bereits nach Auffassung von Vertretern der DDR.
1. Die Jugendlichen wurden - ohne gerichtliches Verfahren -durch Verfügung der Berliner Referate in das Objekt Rüdersdorf eingewiesen, obwohl der Vollzug der Maßnahme der Deutschen Volkspolizei unterstand. Die Gesetzeswidrigkeit dieses Vorgehens war den höchsten Organen bereits spätestens seit Februar 1967 bekannt. Ausweislich einer Aktennotiz vom 22. Februar 1967 (BArch DR 2/51127) führte eine an den damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht gerichtete Beschwerde zu Diskussionen darüber, wie der gesetzeswidrige Zustand beseitigt werden kann. Bei einer Beratung darüber führte der Generalstaatsanwalt der ehemaligen DDR, Dr. Streit, hierzu aus, daß das Objekt Rüdersdorf in einen Jugendwerkhof umgewandelt oder aber wegen der Gesetzeswidrigkeit aufgelöst werden müsse. Eine Umwandlung in einen
Jugendwerkhof erfolgte nicht.
Weiterhin fertigte die Abteilung Jugendhilfe am 22. März 1967 . eine an die Genossin Minister Honecker gerichtete Aktennotiz (BArch DR 2/51127), in der auf den gesetzeswidrigen Zustand (Einweisung durch die Organe der Jugendhilfe und Vollzug durch die Volkspolizei) hingewiesen wurde. Ebenso wurde die Ministerin für Volksbildung (Margot Honecker) am 7. April 1967 durch ein Schreiben des ehemaligen Generalstaatsanwalts der DDR (BArch DR 2/51127) auf die Problematik hingewiesen. Dieses Schreiben erwähnte die Gesetzeswidrigkeit ausdrücklich und beinhaltete einen Vorschlag vom 5. April 1967 zur Regelung der Einweisung in das Arbeitslager Rüdersdorf. Der Generalstaatsanwalt schlug für die Einweisung ein vereinfachtes gerichtliches Verfahren vor, damit die Zuständigkeit des Strafvollzugsorgans gegeben ist.
Auch in einem von der Abteilung Jugendhilfe unter Mitwirkung der Abteilungen Erziehung, Hauptschulinspektion, Ökonomie (Fachgebiet Sonderschulwesen, Sektor Arbeit und Recht) verfaßten Katalog für Maßnahmen auf dem Gebiet der Volksbildung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität (BArch 2/27227.) wird einerseits die Wirksamkeit von Einweisungen in das Erziehungskommando Rüdersdorf betont und mit dem Jugendwerkhof Torgau verglichen (vgl. zur Rechtstaatswidrigkeit dieses Jugendwerkhofs Senat, Beschluß vom 15. Dezember 2004 - 5 Ws 169/04 REHA-).
Andererseits wird auch hier hervorgehoben, daß die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen der DDR dieses Vorgehen nicht decken. Dementsprechend wurde eine Beschlußfassung der Minister für erforderlich gehalten. Obwohl auf der Ministerebene, bei dem Generalstaatsanwalt und den Organen der Jugendhilfe bekannt war, daß die Einweisung ohne gerichtliches Verfahren durch die Jugendhilfe und der Vollzug der Maßnahme durch. Die Volkspolizei ohne rechtliche Grundlage erfolgte, wurde diese Vorgehensweise unbeirrt fortgesetzt, um die Möglichkeit der Schocktherapie im Lager Rüdersdorf weiter zu nutzen.
2. Erst am 27. Juli 1967 wurde die gemeinsame Anleitung zur Einweisung jugendlicher Rowdys in die Vollzugseinrichtung Rüdersdorf unter Mitwirkung des Generalstaatsanwalts der DDR (Dr. Streit), des Präsidenten des Obersten Gerichts (Dr. Toeplitz), des Ministers des Inneren und Chefs der Deutschen Volkspolizei (Dickel) unterzeichnet, die ein gerichtliches Verfahren vorsah. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, ob eine Einweisung nach dieser Anleitung jedenfalls dann nicht rechtstaatswidrig war, wenn sie - anders als hier - nicht der politischen Verfolgung diente, da der Betroffene bereits zuvor am 4. Juli 1967 ohne gerichtliches Verfahren eingewiesen wurde.
III.
1. Aufgrund dieser Feststellungen ist gemäß § 1 Abs. 1 und § 2 StrRehaG die Verfügung des Rates des Stadtbezirks Friedrichshain Abteilung Volksbildung Referat Jugendhilfe vom 4. Juli 1967 (VI-261250), durch die die Unterbringung des Betroffenen im Objekt Rüdersdorf für sieben Wochen angeordnet wurde, für rechtsstaatwidrig zu erklären und aufzuheben, weil sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtstaatlichen Ordnung unvereinbar war.
Zu den staatlichen Maßnahmen, die von der Generalklausel des § 1 Abs. 1 StrRehaG erfaßt werden, gehören vor allem diejenigen, mit denen Gerichte und Behörden der DDR Menschen, die dem sozialistischen Persönlichkeitsbild und den politischideologischen sowie gesellschaftlichen Wunschvorstellungen nicht entsprachen, unter Mißachtung ihrer Individualität und ihrer Würde reglementierten und drangsalierten. Diese Menschen wurden zu Objekten staatlicher Willkür gemacht. Maßnahmen dieser Art sind typisches Systemunrecht. So liegen die Dinge hier, zumindest soweit die Jugendlichen wegen der beschriebenen Verhaltensweisen, die keinen Straftatbestand erfüllten, in das Objekt Rüdersdorf eingewiesen wurden. Denn selbst aus den zitierten Unterlagen der ehemaligen DDR ergibt sich deutlich, daß die Einweisung in das Objekt (auch als Vollzugsanstalt, Arbeitslager, Erziehungskommando bezeichnet) Rüdersdorf keinerlei Erziehungszweck verfolgte, sondern lediglich eine Schocktherapie beinhaltete, die zur Abschreckung und politischen Verfolgung diente. Die mit der Einweisung verfolgten Ziele verstießen
gravierend gegen grundlegende rechtstaatliche Prinzipien. Denn die Einweisung wurde überwiegend als staatliches Machtinstrument gegen Jugendliche eingesetzt, die sich der sozialistischen Ordnung durch das Hören der aufs Höchste mißbilligten westlichen Beatmusik oder das Tragen „westlich dekadenter Kleidung" widersetzten und damit lediglich dem sozialistischen Wunschbild nicht entsprachen. Für die staatlichen Organe kam verschärfend hinzu, daß sich diese Jugendlichen der politischen Zwangserziehung durch Mitgliedschaft oder Aktivitäten in der FDJ entzogen. Bedeutsam ist auch der Umstand, daß es sich bei den Eingewiesenen, die auch im Zementwerk arbeiten mußten, um Jugendliche handelte, deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen war. Jugenderziehung, die den Erfordernissen einer freiheitlich rechtstaatlichen Ordnung genügen soll, muß darauf ausgerichtet sein, bei den Jugendlichen - dem jeweiligen Entwicklungsstadium angepaßt- die Fähigkeit und den Willen zu fördern, ein verantwortungsbewußtes Leben zu führen. Von der Heranbildung einer sozialen Handlungskompetenz war das Objekt Rüdersdorf wei-testmöglich entfernt. Denn bereits die kurze Aufenthaltszeit von maximal acht Wochen war nicht geeignet, erzieherisch auf die Jugendlichen einzuwirken. Dies war auch gar nicht gewollt, denn vorrangig war die Abschreckung der Eingewiesenen sowie anderer Jugendlicher beabsichtigt.
Dabei wurde auch nicht davor zurückgeschreckt, die politische Hauptabteilung VIII des Ministeriums für Staatssicherheit zur Bespitzelung solcher Jugendlichen einzusetzen. Daß ein hohes Maß an Interesse daran bestand, die von der DDR mißbilligten Verhaltensweisen der Jugendlichen aufzuspüren und nachhaltig zu ahnden, zeigt auch die Einbindung des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke und der Genossin Minister für Volksbildung Margot Honecker.
Obwohl die Gesetzeswidrigkeit bekannt war, setzten sie die Einweisungen unbeirrt fort, um junge Menschen in ihrem keine Abweichungen duldenden sozialistischen Blickwinkel zwangsweise zu erziehen.
2. Die Entscheidung über die Dauer der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung beruht auf § 12 Abs. 2 StrRehaG, diejenige über die (etwaig) durch die Unterbringung entstandenen notwendigen Auslagen auf § 6 Abs. 1 StrRehaG. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG und der entsprechenden Anwendung von § 4 67 Abs. 1 StPO.