Heute in der Freien Presse...
Unheimliche Sehnsucht nach der DDR: „Es war doch nicht alles schlecht!“
Die Sehnsucht nach der DDR. Am 7. Oktober 2024 hätte der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden, wie er sich gern bezeichnet hat, seinen 75. Jahrestag gefeiert. Und Egon Krenz, einst Nachfolger von Erich Honecker als SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender, inzwischen 87 Jahre alt, vermutlich die Ehrenparade der Nationalen Volksarmee abgenommen. Doch für die DDR war entgegen ihrer eigenen Prophezeiungen - man kennt den Spruch: "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf" - schon kurz nach ihrem 40. Jahrestag Zapfenstreich. Jetzt hat diese Sehnsucht nach ihr auch Menschen ergriffen, die das Land gar nicht aus eigener Erfahrung kennengelernt haben.
Es gibt eine Studie der Universität Leipzig, in deren Mittelpunkt eine repräsentative Umfrage unter 3500 Personen steht. Demnach betrachten sich 6,4 Prozent der heute 16- bis 30-jährigen Ostdeutschen als Verlierer der deutschen Einheit. Weiterhin fühlen sich immerhin zehn Prozent der Befragten dieser Altersgruppe ausschließlich als DDR-Bürger.
Auf den ersten Blick klingt das paradox. Schaut man aber genauer hin, lässt sich das scheinbar Unerklärbare durchaus fassen. "Kinder identifizieren sich häufig mit den Erfahrungen ihrer Eltern, also auch mit deren Enttäuschungen und Rückschlägen", sagt Professor Oliver Decker, federführend an der Studie beteiligt, von der Universität Leipzig. Wenn die Biografien der Eltern entwertet worden seien, zum Beispiel durch Entlassungen und Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung 1990, dann könne sich das durchaus auch auf die Einstellung und Meinung ihrer Kinder übertragen, erklärt Decker.
https://x.com/KiwitterErik/status/1843052115188396249https://www.freiepresse.de/nachrichten/ ... el13551232Insgesamt - das ergab die Studie der Universität Leipzig weiter - verspüren zwei Drittel der Befragten aller Altersgruppen eine ausgesprochene DDR-Sehnsucht. Zum Vergleich: Laut einer Allensbach-Umfrage hatten 1990 dagegen noch 72 Prozent der Ostdeutschen ihre Lebensumstände in der DDR als unerträglich bezeichnet.
Die aktuelle Entwicklung macht sich derzeit besonders auch in vielen sozialen Netzwerken im Internet bemerkbar. Das Land, in dem es Mauertote gab, in dem gespitzelt wurde, Menschen ins Gefängnis mussten, weil sie eine andere Meinung hatten als die vom Staat vorgegebene, wird dort gefeiert, als gäbe es kein Morgen.
Die Facebook-Gruppen, in denen die Republik zelebriert wird, als wäre sie ein Schlaraffenland gewesen, in dem einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, nennen sich "DDR - ich war dabei!", "DDR - denn es war unsere Zeit" oder "Ich bin stolz ein Ossi zu sein". An den Debatten in diesen Internet-Versammlungen hätte jeder SED-Parteisekretär seine helle Freude gehabt. "Es war nicht alles schlecht" - der Klassiker unter den Parolen der schleichenden Verklärung - klingt da noch ziemlich moderat. Am Ende war in der DDR fast alles besser als heute in der Bundesrepublik, die Mangelwirtschaft von einst wird kaschiert mit zum Teil irrwitzigen Lobeshymnen auf Butter, Wurst und Goldbroiler. Unter einem Foto zum Thema Lebensmittel steht: "DDR-Wurst beim Fleischer und die gute Butter. Jetzt schmeckt vieles nicht mehr." Der Goldbroiler wird mit den Worten beschworen: "Der war wirklich lecker. Und der war sogar größer, saftiger und leckerer als die mickrigen Hähnchen heutzutage am Stand. Das sind ja nur Witzfiguren." Auch der NVA wird gehuldigt. "Ich danke den Soldaten der Nationalen Volksarmee. Ich wünschte, die Deutsche Demokratische Republik gäbe es noch", schreibt ein Facebook-Nutzer.