Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Besondere Vorkommnisse in der Zeit des kalten Krieges

Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon augenzeuge » 21. Juli 2024, 11:23

Am 26. November 1969 tauchten in Ostberlin an der Humboldt-Universität Flugblätter auf, die zum Boykott einer marxistischen Pflichtvorlesung aufriefen.

Die Flugblätter kritisierten die SED und endeten mit dem Aufruf , die Vorlesungen in "GeWi", also dem marxistischen Pflichtfach "Gesellschaftswissenschaften" zu boykottieren.

Das traf das die Mächtigen ins Mark. Umso mehr, als der "Angriff auf den Sozialismus" einige Wochen später wiederholt wurde. Ein paar hundert Flugblätter waren es insgesamt nur, mit Durchschlagpapier auf einer Schreibmaschine produziert, 20 Zentimeter breit, 14 Zentimeter hoch und pro Exemplar drei Gramm leicht. Doch sie lösen eine der größten Fahndungsaktionen der DDR-Geschichte aus.

Über Jahre fahndete die Stasi nach den Urhebern. Eine Dokumentation auf Arte zeigt jetzt die Entstehung des Flugblatts und die abenteuerlichen Blüten, die der Ermittlungswahn der Stasi trieb.
Studenten legen in ihrer Universität insgeheim regimekritische Flugblätter aus – und die Geheimpolizei reagiert mit einer gewaltigen Ermittlung.

Die Stasi überprüfte auch alle Personalausweis-Anträge von Ost-Berlinern auf Ähnlichkeiten beim Schriftbild – ohne Ergebnisse. Als nächsten Schritt gingen Erich Mielkes Mannen zum Einsatz ihrer modernsten Videotechnik über: Überwachungskameras wurden in der Universität installiert. Insgesamt kostete die Fahndungsaktion nach den beiden Flugblatt-Autoren die DDR mehr als eine Million Mark.

Doch sie führte zu nichts. Die beiden Studenten waren vorsichtig, und selbst als Schottlaender 1971 nach einem missglückten Fluchtversuch über die ungarisch-jugoslawische Grenze festgenommen und von der Stasi unter dem Vorwurf der "versuchten Republikflucht" verhört wurde, blieb er standhaft. Der Stasi-Vernehmer hielt ihm ein Exemplar des Flugblattes vor, der Häftling las und log ungerührt: "Gefällt mir gut. Leider nicht von mir." So wurde er "nur" zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt und im November 1972 von der Bundesrepublik freigekauft. Die Strafe hätte wesentlich höher ausfallen können, wenn die Stasi erfahren hätte, dass Schottlaender tatsächlich einer der Autoren des Flugblattes war. Sein Freund Michael Müller stellte nach seinem Abschluss einen Ausreiseantrag und kam auf diese Weise in den Westen.

Die Stasi musste ihren "Operativen Vorgang 'Aufwiegler'" 1973 ergebnislos einstellen. Erst jetzt, mit dem Film von Gabriele Dennecke, lüftet sich die Geschichte hinter dem wahrscheinlich teuersten Flugblatt aller Zeiten.
https://www.welt.de/politik/article2259 ... -Welt.html



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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon Nostalgiker » 21. Juli 2024, 12:37

Es ist nich ganz richtig 1969 noch von einem Pflichtfach "Gesellschaftswissenschaften" zu sprechen.
!969 hieß es wohl mehr M/L Grundlagenstudium und umfasste die Fächer Dialektischer und Historischer Materialismus 1. Studienjahr, im 2. Studienjahr Politische Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus und im 3. Studienjahr Wissenschaftlicher Kommunismus (später dann in Sozialismus umbenannt).
Die Geschichte der Arbeiterbewegung unter dem Blickwinkel der sozialistischen Arbeiterbewegung wurde aus dem Dreigestirn ausgelagert, war aber weiterhin ein Pflichtfach für alle Studenten.

Da ausnahmslos alle Studienfächer während des Bestehens der DDR Pflichtfächer waren, Wahlfächer gab es einfach nicht, ist der Protest dieser zwei Studenten ausgerechnet gegen das Pflichtfach "Pflichtfach Gesellschaftswissenschaften" etwa blauäugig und naiv.

Naja, mit der Suche nach den Übeltätern hatten dann die/das Organ für Ordnung und Sicherheit mal wieder seine Existenzberechtigung und Arbeit für Jahre, wie in diesem konkreten Fall, welche aber zum Leidwesen des Organs nicht zum gewünschten Erfolg führte.

Ich mag mir nicht vorstellen was die Beiden erwartet hätte wenn sie der Urheberschaft diese Flugblattes überführt worden wären.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon Spartacus » 21. Juli 2024, 17:30

M/L Grundlagenstudium und umfasste die Fächer Dialektischer und Historischer Materialismus 1. Studienjahr, im 2. Studienjahr Politische Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus und im 3. Studienjahr Wissenschaftlicher Kommunismus (später dann in Sozialismus umbenannt).


Danke für die Infos Nosti. Da gab es doch bestimmt einen Doktortitel für. Was haben die Träger nach der Wende damit angefangen?

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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon karnak » 21. Juli 2024, 17:36

Wie kommst Du eigentlich darauf, dass man bei einem Studium von irgendwas darüber nachgedacht hat was man damit nach einer" Wende" anfangen könnte? Ein Begriff von dem man zur Studienzeit gar nicht gewusst hätte was der eigentlich hinsichtlich eines Staates DDR mal bedeuten wird. [flash]
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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon pentium » 21. Juli 2024, 17:58

Spartacus hat geschrieben:
M/L Grundlagenstudium und umfasste die Fächer Dialektischer und Historischer Materialismus 1. Studienjahr, im 2. Studienjahr Politische Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus und im 3. Studienjahr Wissenschaftlicher Kommunismus (später dann in Sozialismus umbenannt).


Danke für die Infos Nosti. Da gab es doch bestimmt einen Doktortitel für. Was haben die Träger nach der Wende damit angefangen?

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Der Doktortitel wird nach Abschluss einer Promotion an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen verliehen. Aber bestimmt nicht nach dem 3. Studienjahr....
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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon augenzeuge » 21. Juli 2024, 18:06

Spartacus hat geschrieben:
M/L Grundlagenstudium und umfasste die Fächer Dialektischer und Historischer Materialismus 1. Studienjahr, im 2. Studienjahr Politische Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus und im 3. Studienjahr Wissenschaftlicher Kommunismus (später dann in Sozialismus umbenannt).


Danke für die Infos Nosti. Da gab es doch bestimmt einen Doktortitel für. Was haben die Träger nach der Wende damit angefangen?

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Nichts.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/75706 ... kannt.html

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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon pentium » 21. Juli 2024, 18:16

augenzeuge hat geschrieben:
Spartacus hat geschrieben:
M/L Grundlagenstudium und umfasste die Fächer Dialektischer und Historischer Materialismus 1. Studienjahr, im 2. Studienjahr Politische Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus und im 3. Studienjahr Wissenschaftlicher Kommunismus (später dann in Sozialismus umbenannt).


Danke für die Infos Nosti. Da gab es doch bestimmt einen Doktortitel für. Was haben die Träger nach der Wende damit angefangen?

Sparta


Nichts.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/75706 ... kannt.html

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In deinem Link geht es um Fachschulabschlüsse....und im Thema um ein M/L Grundlagenstudium an einer Universität....
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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon augenzeuge » 21. Juli 2024, 18:17

pentium hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben:
Spartacus hat geschrieben:
M/L Grundlagenstudium und umfasste die Fächer Dialektischer und Historischer Materialismus 1. Studienjahr, im 2. Studienjahr Politische Ökonomie des Sozialismus und Kapitalismus und im 3. Studienjahr Wissenschaftlicher Kommunismus (später dann in Sozialismus umbenannt).


Danke für die Infos Nosti. Da gab es doch bestimmt einen Doktortitel für. Was haben die Träger nach der Wende damit angefangen?

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Nichts.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/75706 ... kannt.html

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In deinem Link geht es um Fachschulabschlüsse....und im Thema um ein M/L Grundlagenstudium an einer Universität....


Schon klar. Sollte ein Hinweis sein. Ein M/L Grundlagenstudium hilft/half auch nicht weiter. Wichtiger ist, was man danach getan hat.
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Re: Die Geschichte des teuersten Flugblatts der Welt

Beitragvon Nostalgiker » 21. Juli 2024, 19:33

Es gehörte nun mal zum Studium und wer da die Abschlußprüfung* nicht bestand bekam auch kein Diplom an einer Uni oder Hochschule.
Ebenso an Ingenieur Hochschulen und Fachhochschulen. Fachschulen schlossen nicht mit einem Diplom ab.

* jedes der drei Teilgebiete des Faches M/L wurde mit einer mündlichen Prüfung abgeschlossen und zusätzlich wurde nach Abschluß der drei Teilgebiete noch eine Abschlußprüfung, ebenfalls mündlich, über das gesamte Stoffgebiet durchgeführt.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

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