Im Frühjahr 2016 kam unser Ortsvorsteher auf mich zu. Er fragte mich, ob ich mir zutrauen würde, eine Chronik unseres Ortes zu schreiben. Die Chronik sollte zunächst den Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung umfassen. Später sollten auch die Jahre nach der Wiedervereinigung dokumentiert werden. Ich war natürlich sofort Feuer und Flamme. Aber wie schreibt man eigentlich eine Chronik? Vor allem: wo bekomme ich all die notwendigen Informationen her? Nach einigem Überlegen. beschloss ich die Archive in der Umgebung zu besuchen. Im Kreis-Archiv in Seelow lagerten jede Menge Zeitungen. Weitergehende Informationen erhoffte ich mir im Landeshauptarchiv on Potsdam und nicht zuletzt in der Stasi-Unterlagenbehörde in Frankfurt (Oder).
Um es vorwegzunehmen: ich wurde nicht enttäuscht. Überall stieß ich auf freundliche, verständnisvolle Mitarbeiter. Was ich dort zu lesen bekam, war spannender als ein Krimi. Vor allem, was die Unterlagen des Landeshauptarchiv und die in der BSTU betrifft. Besonders letztere hat mich, was ich nie für möglich gehalten hätte, zum Teil an meine Grenzen gebracht. Der Spektrum in den Stasi-Akten reichte von interessanten Erkenntnissen bis hin zu Beispielen menschlicher Niedertracht. Zum Abschluss wurde mir eine Liste mit den Klarnamen der IM vorgelegt, die ich unterschreiben musste. Einige von denen kenne ich persönlich. Darunter jemand, der sich gerne als jemand aufführt, " der schon vor 1989 immer alles geahnt hat." Der Mann weiß auch genau, wer da alles "Horch &Guck gemacht hat." Das einem bei dem Gequatsche, in Kenntnis der Akten, der Kamm schwillt, ist wohl verständlich. Aber ich bin nun einmal zum Schweigen verpflichtet!
Darum soll es hier aber nicht gehen. Die Fundstücke aus den Stasi-Akten sind einen eigenen Thread wert. Hier soll es um das Zeitungswesen in der DDR gehen. Beim Durchstöbern der vielen Zeitungen, es dürften im Verlauf der Monate einige tausend gewesen sein, habe ich mir mehr als einmal die Frage gestellt, wie wir derart langweiligen Mist damals überhaupt lesen konnten!
Hätte ich die Chronik nur anhand der Zeitungen geschrieben, in denen damals sehr viel über unseren Ort berichtet wurde, wäre die Chronik wohl ein besseres Märchenbuch geworden. Richtig auffällig wurde die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit erst, als mir auch die anderen Unterlagen zur Verfügung standen. In diesen, damals keinesfalls für die Öffentlichkeit bestimmten Dokumenten, spiegelt sich durchaus ein wahrhaftiges Bild der damaligen Verhältnisse wieder. Inklusive etlicher Fehler und Unzulänglichkeiten. Ohne, dass das System als solches infrage gestellt wurde.
Während manche Zeitungsartikel heute nur noch unfreiwillig komisch erscheinen. Dennoch stellen Sie interessante Zeitdokumente dar. Ich habe mir beim Recherchieren natürlich nicht nur auf meinen Wohnort fokussiert, Sondern auf den gesamten Altkreis Seelow.
Fangen wir mal mit den Fünfziger Jahren. von denen leider nur zwei Jahrgänge vorhanden waren, an:
Zu der Person Schimmeyer, seien mir ein paar Anmerkungen gestattet. Jeder der ihn kannte, schildert den Mann noch heute als einen fanatischen Kommunisten. Der obendrein verbittert war. Solche Personen interessieren mich. Darum habe ich etwas intensiver recherchiert. Schimmeyer war tatsächlich ein Kommunist " reinsten Wassers". Allerdings nicht erst nach sondern bereits lange vor 1945! Anders als andere die später "aus Überzeugung" in die SED eintraten, hatte er mit den Nazis nie etwas am Hut. Karl Schimmeyer war auch kein Freund der in Küstrin seit je her bestehenden Glorifizierung alles militärischen. Diese Haltung bewahrte ihn nicht vor der Teilnahme am Zweiten Weltkrieg. Aus diesem Krieg kehrte er, einbeinig, als Krüppel zurück.
Was vielleicht noch schlimmer war für ihn; Laut unbestätigten, nichts destotrotz hartnäckigen Gerüchten, soll seine Einheit in der Sowjetunion in Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung verwickelt gewesen sein.
Das würde auf jeden Fall Schimmeyers spätere starke Bindung an die sowjetischen Besatzer, von denen er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Bürgermeister eingesetzt wurde, erklären. Ebenso wie seinen hasserfüllten Feldzug gegen alle, die sich in irgendeiner Form mit dem NS-Regime eingelassen hatten. Schimmeyer soll damals viele Einwohner von Küstrin-Kietz regelrecht vertrieben haben. Anderen verweigerte er nach dem Krieg die Rückkehr in den Ort. Frühere NSDAP-Mitglieder mussten damit rechnen. enteignet zu werden. Darunter ein Mann, der zwar zu den ersten NSDAP -und SS-Mitgliedern von Küstrin gehörte, diese Organisationen jedoch aufgrund der Heirat mit einer "Vierteljüdin" wieder verließ. Für Schimmeyer galt jedoch der Grundsatz " einmal Nazi, immer Nazi!"
Man kann den nicht nur in Bezug auf frühere NSDAP-Mitglieder zu Tage tretenden Fanatismus Schimmeyers sicherlich nicht entschuldigen. Fanatiker setzen sich immer selbst ins Unrecht. Aber man ihn vielleicht ein wenig erklären. Jede Geschichte hat nun einmal ihre Vorgeschichte. Nichts geschieht ohne Ursache,
Schimmeyers Leben endete tragisch. Ausgerechnet am 07.Oktober 1979, dem dreißigsten Jahrestag der DDR, verstarb seine einzige Tochter. Ihren frühen Tod überlebte er nur um wenige Wochen. Vergessen ist er bis heute nicht, Was nicht immer positiv zu werten ist.
Wird fortgesetzt
Gruß an alle
Uwe