Freundwärts oder feindwärts

Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Interessierter » 3. Juni 2020, 15:50

"Wir durften nachts oben kein Licht machen. Wir durften am Tag auch keine Wäsche oben aus dem Fenster hängen. Das war Kontaktaufnahme mit dem Klassenfeind!" Wilhelm Sühr blickt zurück auf jene Jahrzehnte, als das Haus seiner Familie direkt an der deutsch-deutschen Grenze stand - innerhalb des 500-Meter-Schutzstreifens, in welchem die Bewohner in ihrem Alltag zahlreiche Einschränkungen hinnehmen mussten. Er und seine Schwester Marianne erinnern sich an eine Zeit, die sie lieber vergessen würden.

Keinen Schritt weiter


Hier, in einem alten Bauernhaus an der Elbe, in der Gemeinde Amt Neuhaus, die heute zum niedersächsischen Landkreis Lüneburg gehört, sind Marianne und Wilhelm Sühr aufgewachsen. Direkt hinter ihrem Haus beginnt der Deich. Die Deichkrone ist nur wenige Meter von der Hauswand entfernt. Lange Zeit war die Elbe ein selbstverständlicher Teil ihrer Alltagswelt - bis das DDR-Grenzregime diese Normalität zerstörte. Am Rand des Deiches hatten die Sührs eine Hecke gepflanzt. "Das mussten wir alles in drei Tagen abholzen", erzählt Marianne Sühr. 1961 kam der Stacheldrahtzaun - und die Anweisung, dass die Bewohner nur noch bis zu ihrer Hauswand gehen durften, aber keinen Schritt weiter, keinen Schritt den Deich hinauf.

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Direkt hinter dem Haus der Familie begann das Sperrgebiet.

Wir waren ja völlig abisoliert"

Ob sie noch manchmal darüber reden, wie es früher hier war? "Zum Teil ja", antwortet Frau Sühr und verstummt. "Und über welche Erinnerungen reden Sie dann, über die schlimmen oder über die guten? Haben Sie überhaupt gute Erinnerungen hier?" Frau Sühr schaut den Fragenden mit erstaunten Augen an. "Aus DDR-Zeiten?", fragt sie, während der Bruder bereits den Kopf schüttelt und mit einem dreifachen energischen "Nee" antwortet. "Das war nicht schön", sagt Frau Sühr, "wir waren ja völlig abisoliert."

Zu DDR-Zeiten, da dürften die Sührs in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) arbeiten und auf ihrem Hof ein wenig "individuelle Tierhaltung", wie es damals hieß, als Zubrot betreiben - viel mehr aber durften sie nicht. Sie durften sich innerhalb des Sperrgebietes nicht frei bewegen. In ihren Ausweisen war vermerkt, dass sie nur bestimmte Straßen ins Sperrgebiet hinein nutzen durften. Innerhalb dieser Fünf-Kilometer-Sperrzone war der Bewegungsspielraum auf wenige Dörfer beschränkt. Sogar ein Besuch bei Verwandten einige Dörfer elbaufwärts war verboten. "Wir mussten anfangs eine Stunde vor Sonnenuntergang im Hause sein", erinnert sich Marianne Sühr, und ihr Bruder Wilhelm ergänzt: "Und am nächsten Morgen durften wir erst eine Stunde nach Sonnenaufgang wieder aus dem Haus raus." Selbst ein normaler Hausarzt durfte in den Anfangsjahren nach der Grenzbefestigung nicht in den 500-Meter-Schutzstreifen kommen.

Strategien der Einschüchterung

Manche im Schutzstreifen durften "feindwärts", viele andere nur "freundwärts" arbeiten. Frau Sühr und ihr Bruder reagieren wie elektrisiert auf diese Begriffe. "Feindwärts - das war immer hinterm Zaun, hinter dem Stacheldraht, zur Elbe hin, hinter dem Deich. Das hieß immer feindwärts." Und wer durfte dorthin? "Besondere Leute", antwortet Wilhelm Sühr, "ausgesuchte Leute, die ihr Vieh, ihre Tiere betreuen mussten und so. Die hatten einen besonderen Ausweis ..." "Ja", unterbricht ihn seine Schwester, "oder sie hatten ihre Aufpasser mit!" Die Sührs hatten keine Erlaubnis, sich "feindwärts" aufzuhalten. "Nein, wir haben die Ländereien und unsere Wiesen da hinten, hinter dem Zaun, da an der Elbe, vierzig Jahre lang nicht gesehen", sagt Marianne Sühr.

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Von diesem Gebäude im ehemaligen Grenzgebiet existiert heute nur noch das Trafohäuschen.

Viele Leute fragten heute: "Warum habt ihr euch denn nicht gewehrt?" Und viele seien sich heute ganz sicher, sie hätten das nicht mitgemacht, niemals. Frau Sühr schaut nicht nur erbost, sie ist es auch: "Wer konnte das denn damals? Niemand hätte das gemacht, auch wenn das heute keiner mehr glaubt. Selbst im Fünf-Kilometer-Sperrgebiet haben sie nicht genau gewusst, was hier im 500-Meter-Schutzstreifen los gewesen ist!" Und Wilhelm Sühr sagt: "Am nächsten Morgen wären wir die Ersten gewesen, die ...". Er verstummt.

Viele ihrer Nachbarn sind ausgesiedelt worden, viele der verlassenen alten Höfe wurden dem Erdboden gleichgemacht. Ziegelsteine, Fensterreste und Dachpfannen sind in einem Tümpel entsorgt worden, um alle Spuren zu vernichten. Bis heute nennen die Dorfbewohner diesen Tümpel "Vockfeys Grab", nach dem Ortsteil Vockfey, der unmittelbar an der Grenze liegt. Warum welcher Bauer über die Jahre ausgesiedelt worden ist, und warum andere nicht, das weiß auch Frau Sühr nicht. "Das weiß keiner. Das haben sich auch die Betroffenen nie erklären können - warum wir? Und warum ihr nicht? Die haben doch alle nichts auf dem Kerbholz gehabt. Aber so war das eben: Die einen mussten raus, und alle anderen waren wieder eingeschüchtert und für eine Weile still."

Nach der Wende: Erste Blicke über die Elbe

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Patrouillenboot der DDR-Grenztruppen auf der Elbe 1987.

Aus Frau Sühr und ihrem Bruder Wilhelm ist nicht recht herauszubekommen, wie sie das empfunden haben: die Grenzöffnung, den ersten freien Blick über den Deich, den Fall der Grenzanlagen, den ersten Spaziergang direkt am Elbufer. Nur zögerlich erzählt Frau Sühr von ihrer Angst in diesem Winter 1989/90. Die Grenzposten seien schon verschwunden gewesen, der Grenzzaun aber habe noch gestanden. Hamburger seien damals mit ihren Autos bereits auf dem Deich spazieren gefahren, aber sie, sie habe sich noch gescheut, auf die Deichkrone hinaufzugehen - diese wenigen Meter von ihrer Haustür nach oben. "Aber jetzt, jetzt ist es gut." Frau Sühr steht oben auf der Krone des Deiches. Sie hat die Arme verschränkt und blickt schweigend über das flache Land an der Elbe.

https://www.ndr.de/geschichte/chronolog ... en100.html
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon augenzeuge » 3. Juni 2020, 16:14

. Die Grenzposten seien schon verschwunden gewesen, der Grenzzaun aber habe noch gestanden. Hamburger seien damals mit ihren Autos bereits auf dem Deich spazieren gefahren, aber sie, sie habe sich noch gescheut, auf die Deichkrone hinaufzugehen - diese wenigen Meter von ihrer Haustür nach oben


Unglaublich, diese Angst. Was hat man nur mit diesen Menschen gemacht? Die haben ganz sicher eine andere DDR als z. B. Beethoven erlebt. [frown]

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"Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist."
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Merkur » 3. Juni 2020, 16:19

augenzeuge hat geschrieben:Die haben ganz sicher eine andere DDR als z. B. Beethoven erlebt.
AZ


Das liegt wohl in der Natur der Sache.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon augenzeuge » 3. Juni 2020, 16:56

Ich wollte damit nur ein Beispiel bringen, wie unterschiedlich Menschen das Land damals erlebt haben müssen. Unnötigerweise.

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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon zoll » 3. Juni 2020, 17:57

Merkur hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben:Die haben ganz sicher eine andere DDR als z. B. Beethoven erlebt.
AZ


Das liegt wohl in der Natur der Sache.

Willst du mit dieser Bemerkung die Grenze legalisieren?
zoll
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Edelknabe » 3. Juni 2020, 18:08

Der war schön, dieser:

"Aus Frau Sühr und ihrem Bruder Wilhelm ist nicht recht herauszubekommen, wie sie das empfunden haben: die Grenzöffnung, den ersten freien Blick über den Deich, den Fall der Grenzanlagen, den ersten Spaziergang direkt am Elbufer. Nur zögerlich erzählt Frau Sühr von ihrer Angst in diesem Winter 1989/90. Die Grenzposten seien schon verschwunden gewesen, der Grenzzaun aber habe noch gestanden. Hamburger seien damals mit ihren Autos bereits auf dem Deich spazieren gefahren, aber sie, sie habe sich noch gescheut, auf die Deichkrone hinaufzugehen - diese wenigen Meter von ihrer Haustür nach oben. "Aber jetzt, jetzt ist es gut." Frau Sühr steht oben auf der Krone des Deiches. Sie hat die Arme verschränkt und blickt schweigend über das flache Land an der Elbe."Textauszug ende

Nannte man das bei die Amerikaner nicht Hill-Billys, Hinterwäldler oder so ähnlich? Köstlich diese Verstocktheit,Zögerlichkeit, Scheu, Schweigen.

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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon HPA » 3. Juni 2020, 18:15

Man muss schon gehörig empathiebefreit sein um so etwas von sich zu geben! Muss wohl an der Vergangenheit als Todesautomatenmonteur liegen!
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Olaf Sch. » 3. Juni 2020, 18:18

Bist du so blöde oder tust du nur so? Wieder zu viel gearbeitet und dabei so etwas wie Empathie verloren? Ach nee, nie gehabt. Und so jemand bildet sich ein, schriftstellerisches Talent zu haben. Hier sollte ein Kotzsmiley zu sehen sein, 12954 mal.
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Merkur » 3. Juni 2020, 18:21

zoll hat geschrieben:
Merkur hat geschrieben:
augenzeuge hat geschrieben:Die haben ganz sicher eine andere DDR als z. B. Beethoven erlebt.
AZ


Das liegt wohl in der Natur der Sache.

Willst du mit dieser Bemerkung die Grenze legalisieren?


Du hast die DDR sicher auch anders erlebt als ich, auch das liegt in der Natur der Sache. Wo ist dabei eine Legalisierung der Grenze durch mich?
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Volker Zottmann » 3. Juni 2020, 18:25

Edelknabe hat geschrieben:
Nannte man das bei die Amerikaner nicht Hill-Billys, Hinterwäldler oder so ähnlich? Köstlich diese Verstocktheit,Zögerlichkeit, Scheu, Schweigen.

Rainer Maria


Nie im Grenzgebiet gewohnt, noch weniger im Sperrstreifen und will dann über geknechtete, über Jahre in Angst und Schrecken versetzte Anwohner urteilen? Schämst Du Dich gar nicht Edelknabe?
Sie wussten nie, ob sie nicht auch grundlos, willkürlich von ihrer kleinen Scholle verjagt werden. Die Dauerangst saß tief.
Du bist völlig befreit von jedem Mitgefühl. Bedauernswert ist Dein Schrieb hier. Ich hoffe es ist nur Dummheit. Ansonsten wärst Du zu verachten.


Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Edelknabe » 3. Juni 2020, 18:29

Aber ihr zwei Zarten, wohl immer mit Symphatie ausgestattet, für den Gegenüber, zumindest solange der auf eigener Linie läuft. Ich merke das schon. Und bitte HPA, komm mir nicht mit altem Kram weil, es ist alles längst abgelegte Geschichte.

Rainer Maria

PS: Der mit dem "geknechtet, in Angst und Schrecken usw" war gut Volker. Du weißt wahrscheinlich garnicht was du da getextet hattest.
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Kumpel » 3. Juni 2020, 18:31

Jetzt komm Edelknabe , du bist doch heute noch überzeugt davon , dass das alles seine Berechtigung hatte damals.
Mit Rückenschuss und Splittermine. Von wegen alter Kram.
Kumpel
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Olaf Sch. » 3. Juni 2020, 18:32

Da du ja nicht zart besaitet bist, ich nehme meine Frage zurück, du bist wie du bist.
Olaf Sch.
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Zicke » 3. Juni 2020, 18:32

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Menschen, die keinen Arsch in der Hose haben, müssen nicht zwangsläufig schlank sein.

Meine Rechtschreibfehler könnt Ihr Samstags ab 17 Uhr bei Rewe gegen eine lecker Senfgurke tauschen.
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Kumpel » 3. Juni 2020, 18:34

Der Fichtenexperte aus dem Off. [flash]
Kumpel
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon HPA » 3. Juni 2020, 18:34

Und bitte HPA, komm mir nicht mit altem Kram weil, es ist alles längst abgelegte Geschichte.


Diesen Wunsch werde ich Dir mit Sicherheit nicht erfüllen. [grin]
HPA
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Volker Zottmann » 3. Juni 2020, 18:36

Edelknabe hat geschrieben:Aber ihr zwei Zarten, wohl immer mit Symphatie ausgestattet, für den Gegenüber, zumindest solange der auf eigener Linie läuft. Ich merke das schon. Und bitte HPA, komm mir nicht mit altem Kram weil, es ist alles längst abgelegte Geschichte.

Rainer Maria

PS: Der mit dem "geknechtet, in Angst und Schrecken usw" war gut Volker. Du weißt wahrscheinlich garnicht was du da getextet hattest.


Das war nicht gut, das sind Tatsachen.
Wir haben ja ein Forenmitglied, leider nur noch passiv, der genau dort auch den Abflug über die Elbe machte. Hast Du vor Jahren nicht gelesen, was Ditmar Raffel schrieb?

Gruß Volker
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon steffen52 » 3. Juni 2020, 18:54

AkkuGK1 hat geschrieben:Bist du so blöde oder tust du nur so? Wieder zu viel gearbeitet und dabei so etwas wie Empathie verloren? Ach nee, nie gehabt. Und so jemand bildet sich ein, schriftstellerisches Talent zu haben. Hier sollte ein Kotzsmiley zu sehen sein, 12954 mal.

Egal was Du vom Edelknabe hältst, bin in dieser Beziehung auch nicht auf seinen Level, aber solche Ausdrücke sagt man nicht. Oder ist das Dein normaler Umgangston, na dann wäre ja alles klar bei Dir! [shocked]
Gruß steffen52
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Olaf Sch. » 3. Juni 2020, 18:58

Ich bin einfach nur angewidert.
Olaf Sch.
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon steffen52 » 3. Juni 2020, 19:01

AkkuGK1 hat geschrieben:Ich bin einfach nur angewidert.

Ist ja okay und da bin ich ja auch zu diesem Thema bei Dir. Aber warum sich so gehen lassen, bringt doch bloß böses Blut rein. Ich hoffe Du verstehst mich??? [hallo]
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Olaf Sch. » 3. Juni 2020, 19:55

Du hast ja nicht unrecht, aber es ist ja die Regel und hat er nicht erst mit Stahlschuhen einen User als hohle Nuss bezeichnet und zertreten?
Olaf Sch.
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Volker Zottmann » 3. Juni 2020, 21:07

Mal für den Edelknaben zu lesen...
Vielleicht erinnert er sich noch an Ditmar, der hier unter @Broda schrieb....



Das letzte Haus von Broda. Der Ortsteil wurde 1981 eingeebnet, er lag zu nah am Fluss. Nur ein Haus blieb übrig, dort lebte bis zum Oktober 1988 ein einzelner Mitarbeiter der Staatssicherheit. An den Wochenenden soll der Geheimdienst dort rauschende Partys gefeiert haben. Konspirativ, denn ein offizieller Posten war das Haus im Wald nie.

Jetzt ist es eine Ruine, das Dach halb eingestürzt, aus den Fenstern wächst Gesträuch. Rasenberger zuckt die Achseln, er zeigt auf ein paar Apfelbäume und Gartenblumen – Siedlungsreste, die sich mit der Vegetation des Waldes vermischt haben.
Lange her.

Den DDR-Flüchtling Dietmar Raffel dagegen lässt die Vergangenheit nicht in Ruhe. Er ist in Broda aufgewachsen, 1972 floh er als 18-Jähriger aus Rüterberg. Genau an der Stelle, an der heute ein Stück Grenzzaun als Mahnmal steht, sprang er in die Elbe und ließ sich von einem westdeutschen Zollboot retten. Heute lebt er in Westfalen.
Raffel kann bis heute nicht verwinden, was seinem Heimatort und seiner Familie angetan wurde: Nach seiner „Republikflucht“ wurden Eltern und Geschwister auf Viehwaggons verladen und nach Nordmecklenburg verbracht. Der Vater, zuvor Hauptmann der Nationalen Volksarmee, wurde über Nacht zum „Schädling“. Nicht vertrauenswürdig genug, um weiter im Grenzgebiet leben zu dürfen. Es habe lange gedauert, bis die Eltern darüber sprechen konnten.

Raffel sagt am Telefon, dass er vor ein paar Jahren seine Stasiakte eingesehen habe. Vier Jahre lang habe ihn die Stasi noch im Westen bespitzelt, „die haben immer gewusst, wo ich bin“. 1976 endete die Akte, das Interesse war offenbar erlahmt. Raffel sagt heute, er habe seinen Frieden gemacht mit Rüterberg. Ein paarmal ist er seit der Wende wieder hingefahren. Hat die Heimatstube besucht, in der eine Uniform seines Vaters hängt.
Allerdings erst, nachdem er die Akten gesichtet hatte. Und sicher sein konnte, dass unter den Nachbarn seiner Kindheit kein Stasispitzel war. Er sagt: „Das hätte ich nur schwer ertragen.“


https://taz.de/!270275/

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Volker Zottmann » 3. Juni 2020, 21:14

Oder mal Broda in die Suchfunktion geben...
Dann kann man heute noch Etliches vom Ditmar Raffel, der hier als Broda schrieb lesen. Für Dich Edelknabe sollte es Pflichtlektüre werden, um zu begreifen, wie hart den Menschen im Grenzstreifen zugesetzt wurde. Weshalb mancher 1989 noch ganz starke Angst verspürte, sich nicht mal auf den Deich traute.

Du glaubst gar nicht, wie Du mich heute aufregst, so schnodderig, unbedarft, fast trottelig.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Volker Zottmann » 3. Juni 2020, 21:55

Das hier stammt alles aus Ditmar Raffels Block "Rüterberg":

Im Jahre 1969 wurde mit dem Bau der Beton-Beobachtungstürme begonnen, die die vorhergehenden einfachen Holztürme ersetzten.
In verschiedenen Grenzbereichen, meistens in schwer zu überwachenden Geländeabschnitten und in der Nähe grenznaher Ortschaften, wurden sogenannte Lichtsperren (Peitschenmasten mit starken Strahlern) errichtet, mit denen gefährdete Grenzbereiche nachts ausgeleuchtet werden können.1970 erfolgte die erste Montage der Selbstschußanlage SM 70. In drei Reihen und versetzt sind die Schußapparate an der ostwärtigen Seite des Metallgitterzaunes an den Betonpfosten angebracht und mit Auslösedrähten verbunden. Der Abstand zwischen 2 Apparaten auf gleicher Höhe beträgt 30 m.Durch Berühren oder Durchschneiden des Auslösedrahtes werden in dem Kontaktgeber 2 Stromkreise geschlossen. Der eine Stromkreis zündet über eine elektrische Sprengkapsel die Hauptsprengladung des Schußtrichters
(102 g Sprengstoff). 118 Stahlwürfel, Kantenlänge 4 mm, werden durch den Detonationsdruck bis zu 25 m geschossen. Der zweite Stromkreis löst Alarmanlagen innerhalb des nächsten Führungspunktes aus
H,Rasenberger :“Die Dorfrepublik“


Rüterberg ist eingezäunt
"Ihre Dokumente zur Einreise bitte!" So lautete von nun an die Forderung der Wachposten am einzigen Zugangstor zum Dorf. Dieses Tor blieb von 23:00 Uhr bis zum Morgengrauen komplett verschlossen. Die Einwohner von Rüterberg mussten für den Zugang ihre Personalausweise vorlegen und fremde Besucher benötigten eine besondere Erlaubnis. Von 1967 bis 1989 gab es kein "Besucht uns doch mal" mehr. Die 150 Einwohner waren komplett eingesperrt und mussten sich mit diesen Bedingung wohl oder übel arrangieren.
1988 wurde der innere Grenzzaun durch ein stabileres Modell ausgetauscht. Ein Kilometer neuer Grenzzaun kostete dem Staat 1,4 Millionen DDR-Mark. Insgesamt wurden somit elf Millionen DDR-Mark für die neue Einzäunung ausgegeben. Während der Bauarbeiten nutzte ein Mann die Gunst der Stunde und flüchtete über die Eibe. Anschließend wurden zusätzliche Stolperdrähte installiert und Hundelaufanlagen errichtet. Bei den Bewohnern von Rüterberg machte sich Wut breit. Das Sprichwort "All zu straff gespannt, zerspringt der Bogen" schien sich auch hier zu bewahrheiten.



Zaunpioniere haben so, wie der Edelknabe auch, dort gewirkt. Von 1967 bis zum Schluss 1989 war den Rüterbergern JEDER Besuch im eingekastelten Dorf verboten. Und das, Edelknabe, hinterlässt garantiert psychische Spuren!

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon HPA » 3. Juni 2020, 22:54

Der BGH hat im Übrigen Anfang des jahrtausends zur Völker und Menschenrechtswidrigkeit der an der innderdeutschen Grenze verlegten PPM-2 und SM-70 eindeutige Aussagen gemacht.

Siehe BGH 4 StR 30/01 - Urteil v. 26. April 2001

https://lexetius.com/2001,2908

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, daß die Minensperranlagen an der innerdeutschen Grenze keine militärische Bedeutung hatten, sondern – wie die Angeklagten wußten – in erster Linie dazu bestimmt waren, die Flucht aus der DDR unter Inkaufnahme der Tötung des Fluchtwilligen zu verhindern
HPA
 

Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Interessierter » 4. Juni 2020, 08:12

Passend zum Thema auch dieses:

Das Schweigen der Opfer

"Wie kann das passieren, Vati? Du hast doch von früher erzählt, aus der Nazi-Zeit - und als du ein Kind warst - und als ihr aus eurer Wohnung musstet - und wie kann das jetzt wieder passieren?", fragt die Tochter ihren Vater, Herbert Büchner, als die Familie im Oktober 1961 aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere der DDR deportiert wird. Tatsächlich hat Herbert Büchner, 20 Jahre zuvor, schon einmal eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht.

Der Widerstandskämpfer Gustav Büchner

Ostpreußen, 1939: Als Mitglied der Bewegung "Kampf gegen den Faschismus" tritt Gustav Büchner unerschrocken den Nationalsozialisten entgegen. Trotz wiederholter Verhaftung durch die Gestapo ist der Familienvater weiterhin im Untergrund aktiv - bis er zum letzten Mal verhaftet und im April 1939 von den Nazis erschossen wird. Von offizieller Seite heißt es, der "Verbrecher" Gustav Büchner habe Selbstmord begangen. An diese Version glaubt auch sein 11-jähriger Sohn Herbert, denn aus Angst verschweigt die Mutter die Wahrheit. Mit ihren Kindern wird sie aus der eigenen Wohnung vertrieben, die Familie muss in ein schäbiges Zimmer umziehen. Erst viele Jahre später erfährt Herbert Büchner vom wirklichen Schicksal seines Vaters.

Heimat im Grenzgebiet

Bild
Wachturm der DDR-Grenztruppen am Hafen von Dömitz.

Heidhof bei Dömitz im Jahr 1961: Hier, an der Elbe, im Grenzgebiet der DDR, hat Herbert Büchner eine neue Heimat gefunden. Er und seine Frau Gretel arbeiten als Lehrer, sie haben drei Kinder und werden im Dorf geschätzt. Noch ahnen sie nicht, was hinter der scheinbar heilen Dorffassade vor sich geht: Akribisch erfasst die Staatssicherheit diejenigen Menschen, die aus dem Grenzgebiet in das Innere der DDR umgesiedelt werden sollen. Diese zweite große Vertreibungswelle - die erste fand 1952 statt - wird später als "Aktion Kornblume" bekannt. Umgesiedelt werden sollen vor allem "Personen, die durch ihre reaktionäre Einstellung den Aufbau des Sozialismus hindern sowie Personen, die ihrer Einstellung nach und durch ihre Handlungen eine Gefährdung für die Ordnung und Sicherheit im Grenzgebiet darstellen", wie es im Befehl des Ministeriums des Innern (MdI) heißt.

Zu diesen "Personen" zählen auch die Büchners. Sorgsam hat das Kreisgericht in Ludwigslust die Gründe für ihre Ausweisung zu einer handfesten Anklageschrift zusammengeschustert. Weil Herbert Büchner sich öffentlich gegen den Mauerbau geäußert, bei der letzten Kreiswahl nicht geflaggt und seine Fernsehantenne gen Westen ausgerichtet hat, wird er unter Ausschluss der Öffentlichkeit und bei eigener Abwesenheit angeklagt und ohne Verhandlung verurteilt.

Unerwarteter Besuch

Am 3. Oktober 1961 klingelt es bei den Büchners an der Haustür. Vor der Tür stehen drei Herren, zwei Lkws sowie bewaffnete Mitglieder der Kampftruppen. "Sie werden aufgefordert, das Grenzgebiet sofort zu verlassen!", sagt einer, der sich als Staatsanwalt vorstellt. Damit Herbert Büchner nicht gleich lautstark protestiert, wird ihm gesagt: "Sie kommen nach Crivitz, Ihnen wird dort eine gleichartige Wohnung zur Verfügung gestellt, und Sie können weiter als Lehrer tätig sein." Innerhalb von zwei Stunden muss die Familie ihr Hab und Gut zusammenpacken und auf die Lkws laden. Dann werden sie abtransportiert.

Bild
Dieser Hof bei Crivitz wird der Familie Büchner zugewiesen.

Tatsächlich landen die Büchners in Warnow-Hof bei Crivitz, östlich von Schwerin. Aber schon gleich nach ihrer Ankunft wird ihnen mitgeteilt, sie seien ab sofort nicht mehr Lehrer, sondern Genossenschaftsbauern und müssten in der Schweinemästerei arbeiten. Und das Haus, in das sie eingewiesen werden sollen? Das ist eine Katastrophe. "Es war unter aller Würde", erinnert sich Gretel Büchner, "es waren keine Fenster drin oder die Fenster waren zerschlagen und kaputt." Widerwillig ziehen sie in das Haus ein. "Wir sind die ganze Nacht wach geblieben, wir haben nicht schlafen können. Wir haben nur geweint, die ganze Nacht hindurch, bis zum Morgen", erinnert sich Gretel Büchner.

Vorladung und Verhaftung

Die Büchners haben keine Chance, in ihren alten Beruf zurückzukehren. Im Dezember 1961 wird Herbert Büchner zum Bezirksschulrat bestellt. "Mir wurden die Aufhebungsverträge vorgelegt, ich sollte unterschreiben. Und da habe ich gesagt: 'Nein!'", erzählt er. Er darf wieder gehen, wird jedoch wenige Tage später beim Ministerium für Staatssicherheit in Schwerin vorgeladen. Dort wird er noch einmal gefragt, ob er bereit sei, die Aufhebungsverträge zu unterschreiben. Weil er sich weigert, wird er in eine Zelle gebracht. "Man hörte immer die Schritte der Wachleute. Ich saß stundenlang da, und irgendwann fiel mir ein: In drei Tagen ist Heiligabend, und du bist nicht zu Hause und nicht bei deiner Frau und deinen Kindern ..."

13 Spitzel, rund um die Uhr

Je länger die Büchners in Crivitz leben und arbeiten, umso häufiger werden sie angesprochen und nach ihrer Herkunft gefragt. Aber sie halten sich an alle Auflagen, sie gehen nicht zu Tanzveranstaltungen, sie betätigen sich auch sonst nicht öffentlich. Sie schweigen. Die Staatssicherheit ist über alles im Bilde. Die Büchners erzählen: "Aus unseren Akten wissen wir heute, dass wir hier insgesamt dreizehn Inoffizielle Mitarbeiter hatten, die uns von 1961 an rund um die Uhr beschattet haben. Das MfS hat selbst einen aus dem Raum Lenzen Zwangsdeportierten auf uns angesetzt. Und mit dem hatten wir uns angefreundet damals. Und der hat dann lange Zeit nur darüber berichtet, welche Fernsehprogramme wir eingeschaltet und angesehen haben."

Erst mit der Mauer fällt die Angst


Das gilt bis etwa 1970, dann wollen die Büchners nicht länger schweigen. Im allerengsten Freundes- und Familienkreis reden sie über die Zwangsaussiedlung und über das Berufsverbot. Sie gehen wieder tanzen und lassen sich in der Öffentlichkeit sehen. "Wir haben uns einfach gesagt, jetzt müssen wir da durch!", sagen sie. Doch erst, nachdem Mauer und Stacheldraht gefallen sind, erzählen Gretel und Herbert Büchner ihre Lebensgeschichte ganz und ohne Lücken: öffentlich, laut und deutlich und zum ersten Mal ohne Angst.

https://www.ndr.de/geschichte/chronolog ... age-2.html
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Re: Freundwärts oder feindwärts

Beitragvon Olaf Sch. » 4. Juni 2020, 09:17

Gut dass dieser Scheissstaat im Lokus der Geschichte verschwunden ist.
Olaf Sch.
 


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