augenzeuge hat geschrieben:... diese Aussage war doch sicher top secret, oder? Realistisch betrachtet hebelte sie doch die Schusswaffengebrauchsbestimmung aus. Von wem kam diese Aussage? ...
Hallo Augenzeuge,
sie war nicht "top secret". Sie war intern als Information der Politabteilung gekommen und, soweit ich mich erinnere, nicht für die Wandzeitung bestimmt. Die Information erhielt ich vom Leiter der Politabteilung des Grenzregiments mündlich bei einer Dienstbesprechung im Regiment.
Die Schusswaffengebrauchsbestimmung wurde nicht ausgehebelt. Das Grenzgesetz sprach im Wortlaut vom "Recht, die Schusswaffe einzusetzen". Die Schusswaffengebrauchsbestimmung regelte dann nur, wie dieses "Recht" umgesetzt werden sollte. Insofern war sie davon nicht berührt. Formal wäre hiermit ein wichtiges Kriterium für einen Befehl außer Kraft gesetzt worden. Das Grenzgesetz von 1982 und seine Schusswaffengebrauchsbestimmung war nach unserem damaligen Verständnis aber kein Befehl. Insofern war diese Regelung kein Widerspruch.
Was ich mit dieser Information hätte anfangen können, war mir allerdings auch damals nicht ganz klar. Sie diente augenscheinlich eher dazu, uns auf neue Tendenzen in der Politik zur Grenze hinzuweisen. Immerhin war es die Zeit der intensiveren Verhandlungen mit westlichen Ländern, die Zeit des Abbaus der Minen. Letzteres hatte die Politorgane augenscheinlich auch aufgeschreckt. Nicht der Abbau der Minen, der war sogar aus der eiskalten militärischen Sicht mehr als zweckmäßig. Nein, es war die Art, wie Erich selbst die Ankündigung des Minenabbaus vorgenommen hatte. Bis zum Tag der Veröffentlichung des Interviews mit der Ankündigung des Abbaus der Selbstschussanlagen, wie er sie plötzlich selber nannte, wurde in der politischen Arbeit immer wieder betont, wie wichtig diese seien für den "Schutz des Friedens und des Sozialismus gegen den imperialistischen Aggressor". Und plötzlich sitzt EH da und sagt: "Wir bauen sie ab!" Weder der Chef noch die Politische Verwaltung der Grenztruppen wussten davon. Das schlug natürlich Wellen. Niemand wusste, ob da eine "Tauwetterperiode" bevorstand. Und so versuchte man augenscheinlich uns, die Politstellvertreter, darauf hinzuweisen, dass wir in bestimmten Richtungen nicht "argumentativ vorprellen" sollten, um dann nicht wieder "dumm dazustehen". Das wäre eine mögliche Ausdeutung. Es kann auch alles ganz anders gewesen sein.
Von direktem militärischen Wert war die Information nicht. Die Untersuchung und die Bewertung und damit auch die Bestimmung von Strafen erfolgte bei einem Grenzdurchbruch wohl kaum in der Grenzkompanie und somit auch nicht Bereich der Mitsprache des Politstellvertreters der Kompanie. Ansonsten konnte ich bei disziplinaren Strafen auf Kompaniebene durchaus dazwischen gehen, sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Ich war in dieser Frage vor Ort verantwortlich, dass die Linie der Partei durchgesetzt wurde. Aber, wie gesagt, nicht bei Grenzdurchbrüchen.
ciao Rainman2