
Reinhard Müller in der Uniformjacke eines Stabsoberfähnrichs der DDR-Grenztruppen mit entschärften Antipersonenminen in den Händen
Quelle: Ingo Röhrbein
Als Soldat der Nationalen Volksarmee baute Reinhard Müller die innerdeutsche Grenze mit auf. Und nach dem Ende der DDR half er, sie zu demontieren. Dass am Todesstreifen Menschen starben, darüber will der Rentner heute nicht mehr reden. Vierter Teil der Serie "Lebenswende" zu 20 Jahre Mauerfall.
Wer zu Reinhard Müller will, muss über die Mauer: Der Weg durch den Garten zu seinem Haus in Dassow setzt sich zusammen aus alten DDR-Betonsperrmauern, die einst Deutschland in zwei Teile schnitten. Der Mann in Trainingshose und Hausschuhen steht auf den Betonplatten und schaut vor sich auf den Boden. Zuerst habe er Hemmungen gehabt. „Die Grenzbefestigung einfach so ausschlachten wie ein Baustofflager, das kann man doch nicht machen“, sagt er. Aber als alle aus dem Dorf wenige Wochen nach der Grenzöffnung hinfuhren und die Anlagen vor den Augen der Grenzposten abbauten, ist er auch hin. „Hier“, sagt er, und zeigt auf den Gartenzaun: „Da habe ich Grenzzaun verbaut. Echter Chrom-Nickel-Draht, 30 Jahre rostfrei. Das taugt was. Das kam ja auch aus dem Westen.“
Was sich heute, knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, bruchstückhaft in seinem Garten wieder findet, war einst Reinhard Müllers Leben. Zu DDR-Zeiten hat der heute 68-jährige Rentner als Fähnrich beim Grenzregiment die Grenze auf- und später – nach der Wende – auch wieder abgebaut. „Die Grenze war mein Leben“, sagt er, bevor er auf einem Hocker in seiner Laube Platz nimmt.
Es war das Jahr 1962, als der im thüringischen Bad Frankenhausen Geborene zum ersten Mal auf die Grenze traf. Der parteitreue FDJ-Sekretär wurde zum Wehrdienst eingezogen und ins Sperrgebietsdorf Lütgenhof nahe der Grenze an der Lübecker Bucht berufen. Müller baute Beobachtungstürme, Müller installierte Hundelaufanlagen, Müller errichtete Grenzzäune. Wenn er von dieser Zeit erzählt, spricht er von sich in der dritten Person – als sei er sein eigener Vorgesetzter.
Er war neu im Ort, er suchte Anschluss. „Fern der Heimat musste ich mir mein eigenes Nest aufbauen.“ Dem Muttersöhnchen gefiel die starre Hierarchie der Nationalen Volksarmee (NVA) mit ihren klaren Befehlen und einfachen Strukturen. Und ihm gefielen die Privilegien, die er genoss: Anders als die Bewohner der Sperrgebietszone durfte sich der junge Pionier frei bewegen.
Reinhard Müller verliebte sich in eine aus dem Ort. Nach eineinhalb Jahren Wehrdienst ließ er sich verpflichten. Er heiratete und blieb. Als Berufssoldat baute er den „Antifaschistischen Schutzwall“ zu einem perfektionierten Abschottungssystem aus. „Wir waren besessen von der Idee, das Ding so sicher wie möglich zu machen“, sagt er.
Der Eifer des gelernten Maschinenschlossers kam den Offizieren gelegen, als Mitte der 70er-Jahre die Modernisierung der Grenze anstand. „Ich wurde mit der Installation des Grenzsignalzauns (GSZ) beauftragt“, erzählt er. Zu DDR-Zeiten war Reinhard Müller wer.
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Für ihn war die Grenze ein Bauwerk, das funktionieren sollte. Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit oder Skrupel, an einem Bauwerk beteiligt zu sein, das Familien, Freunde, ein Volk voneinander trennte und an der Tausende zu Tode kamen, hat er nie gehabt. „Nein, warum? Eine Grenze ist eine Grenze, Punkt. Wer versucht, sie zu überwinden, muss damit rechnen, dass es ihn erwischt.“ So einfach sah das Reinhard Müller, am Anfang zumindest.
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Meiner Meinung nach, ist dieser Müller genau der Typ Mensch den menschenverachtende Diktaturen brauchen. Ohne Unrechtsbewußtsein und willfähriger Diener unter Ausnutzung von Privilegien. Was interessierten ihn denn schon die Toten an der Grenze? Mit dieser Einstellung stand und steht er leider nicht allein.