Regine Hildebrandt: Leben an der GrenzeMeine Mutter hat in der Bernauer Straße schon gewohnt in den (19)-30er Jahren, in der Bernauer Straße 14,
da bin ick auch geboren. Das war dieses Ruinengrundstück, das da nach ´44 war. Da sind wir denn ausgebomt,
dann wieder nach Berlin nach der Evakuierung, in die Bernauer Straße 2. Die Numerierung der Bernauer Straße
fing erst an der Ackerstraße an, davor war der Friedhof hier zwischen der Bergstraße und Ackerstraße. so ´ne
rote Friedhofsmauer, wie sie jetzt noch in der Ackerstraße ist, mit so´n senkrechten Streifen, so war das hier auch.
Ick kann mich noch so genau daran erinnern, weil man ja als Kind denn so´n Verhältnis dazu entwickelt, wenn mann
vom Stettiner Bahnhof (Nordbahnhof) kommt und nach Hause geht und dann mehrere Schritte zwischen den
einzelnen Pfeilern machen will und die dann zählt.
Das Lazarus-Krankenhaus, wo wir jetzt drin sitzen, ist mir natürlich als jemand, der zur Evangelischen Versöhnungs-
Gemeinde gehörte, vertraut. Die Versöhnungskirche stand Bernauer Straße 4 und ich wohnte Bernauer Straße 2,
Pa<terre links und die 4 war das Versöhnungs-Grundstück. Da stand die Kirche, das Pfarrhaus, Gemeindehaus und so
weiter. Mein heutiger Mann war Pfarrerssohn da, vom alten Hildebrandt, mein Schwiegervater, der war Pfarrer von
1950 bis ´61. Das war also unsere Welt und dann sind wir von da eben immer hier rüber ins Krankenhaus gegangen,
zum Krankenhaus-Singen. Da sind wir denn hier um elfe, halb zwölfe rüber und haben dann hier auf den
Stationen gesungen. Natürlich zu den Festen auch.
In der Ackerstraße hatten wir noch die Schrippenkirche. Da war auch unser Kirchsaal, da ham wir manchmal mit dem
Chor geprobt und auch mal Gottesdienste gehabt in dem Haus. Und die Büros gegenüber. Wir hatten also Westbüros
und Ostbüros von der Kirche. Das Kirchengrundstück in der Bernauer 4 war relativ groß, die Kirche stand deutlich
zurückgesetzt, davor war freier Raum und da waren die Gemeindehäuser auf der rechten Seite. Und der erste Teil der
Gemeindehäuser der beinhaltete das Burckhardthaus, das war eine Ausbildungsstätte für Gemeinde-Helferinnen,
über viele, viele Jahre nach dem Krieg. Und der zweite Teil, das war das Gemeindehaus und dann Pfarrhaus und der
Kirchenmusiker wohnte da. Also die Gemeindearbeit war im wesentlichen in Ostberlin, in den Gemeindehäusern.
Da war die Bibelarbeit, da war´n die Chorproben, der Konfirmanden-Unterricht, das war alles da. Da war auch der
Gottesdienst. Wir hatten nur unabhängig davon, beispielsweise für Abendmusiken oder für spezielle Gottesdienste
zusätzlich noch die Schrippenkirche.
Die wesentlichen Erinnerungen, die sich für mich mit der Bernauer und der Ackerstraße verbinden, sind, wenn man
zum Beispiel zur Schule musste. Die Schule war erst auf der anderen Seite in der Streiter Straße im Westen, da bin
ick eingeschult worden, weil es die nächste Schule war. Denn kam aber ´53 mit Ulbricht die Tatsache, dass die Ostler
aber auch in Ostberlin zur Schule gehen sollten, da musste ich also aus der Schule rausgenommen werden und kam
auf die Schule in der Bergstraße. Diese graue Schule, die ist ja immer noch da. Dahin bin ich also bis zur achten
Klasse gegangen. Und alles natürlich immer von der Bernauer Straße aus. Und hinterher war´s dann die Max-Planck-Oberschule in der Auguststraße und da war mein Schulweg dann jeden Tag durch die Ackerstraße. Sehnse, da in die
Acker rum, dann den ganzen Friedhof lang, über´n Pappelplatz rüber, Schröderstraße. Also insofern umkreist man
den Bereich immer. Aus der Zeit der Bergstraßen-Schule und in die Zeit fiel auch der 17. Juni. Und da war dann die
Sache, dass man von der Bernauer Straße in die Ackerstraße nicht mehr reinkam, weil das alles gesperrt war, auch
die Bergstraße. Da wurde Ost- von Westberlin das erste Mal abgeriegelt. Und wir hatten dann nur die Möglichkeit
über die Brunnenstraße. Das war nach dem 17. Juni ´53, aber nur zeitweilig. Da war dann Polizei, da war nischt
zu machen.
Überhaupt war das interessant zu sehen, zuerst war das ja die Sowjetzone, dann der sowjetische Sektor von Berlin
und denn wurde es der demokratische Sektor von Berlin nachher. Und immer wurden dann die Schilder gewechselt,
in der Ackerstraße. ´Sie verlassen jetzt den demokratischen Sektor von Berlin´. Diese Form der Bezeichnung, die
sah man dann natürlich an der Ackerstraße immer ganz besonders. Sowie also die Bezeichnung des Ostsektors
sich änderte, wurde auch immer entsprechend der offiziellen Variante die Beschriftung des Schildes geändert.
Denn waren da die Vopos und die Zoll-Leute, die da standen, die Ackerstraße war ja ´ne Grenzstraße. Da war
ja zuerst der völlig durchgehende Verkehr, wie das so üblich war, zu Friedenszeiten. Dann eben die Markierung, die Tatsache, das da Schilder standen und man wusste, wo man ist. Und dann sollte als nächstes der Fahrverkehr
unterbunden werden und dann hatten die Folgendes gemacht: Da haben die hier in der Ackerstraße und in den
übrigen Straßen dann einen Stamm quer über die Straße gelegt und in Asphalt eingebettet, so konnte dann da
keen Auto mehr rüberfahren, Fußgänger natürlich schon und Fahrräder. Und dann kam eben der 17. Juni zum
ersten Mal die Situation für uns aus der Bernauer Straße, dass wir nicht mehr durch die Ackerstraße durch
konnten, weil abgesperrt war. Das war aber nur zeitweilig. Um dann in die Bergstraße zur Schule zu kommen,
musste ich erstmal über die Strelitzer- bis zur Brunnenstraße, da kam man durch, dann ganz hinten wieder
runter durch die Rheinsberger, so kam man dann da durch.
Die Grenze war ja in der Bernauer Straße die Häuserfront. Um das mal deutlich zu machen: Wenn wir aus´n
Fenster gekiekt haben, war´n wir mit dem Kopp im Westen, versteh´n Sie?
"Mit dem Kopf im Westen - mit dem Gesäss im Osten"Wir hatten in der Bernauer Straße die schöne Situation, wir wohnten auf der Ostseite und wenn wir das Haus
verlassen haben, waren wir im Westen. Und wenn wir, was ja üblich war an Regelung für die Ostberliner, den
Tagesspiegel kaufen wollten, für Ostgeld, dann konnten wir das drüben auf der anderen Straßenseite im
Laden tun. Wir konnten ooch zur Brunnenstraße zu Pico gehen und konnten uns da Schuhe kaufen und mit
dem Pico-Luftballon, den man dann da kriegte, auch nach Hause gehen. Jeder andere Ostdeutsche oder
Ostberliner der da rüber gegangen ist, der dufte dit ja überhaupt nicht, sondern der musste, wenn er da
Schuhe gekauft hatte, die erstmal einstauben, dass sie alt aussehen und die anderen wegschmeißen und
dann versuchen, in den Osten zurück zu kommen. Und Pico-Luftballons, das ging schon gar nicht.
Schwierigkeiten hatten wir also vor allem, wenn wir rüber in´n Osten wollten, denn immer wenn wir nach
Ostberlin rein wollten, mussten wir die Grenze passieren. Das war also eine völlig absurde Situation, wenn
wir beispielsweise eingekauft haben, zum Beispiel für die Festtage ´ne Ente, dann mussten wir die Grenze
passieren. Und da war´s dann lange so, nachdem primär gesagt wurde, der kluge Westberliner kauft in der
HO (Handels-Organisation), wurde gesagt, Westler dürfen nicht für Ostgeld im Osten kaufen. Und dann mussten
wir immer mit´m Ausweis einkaufen und wenn wir dann vom Einkaufen im Osten kamen, haben die uns
an der Grenze kontrolliert. Und dann hatten wir den Ausweis, da stand dann drin Bernauer 2, aha, das
ist ja gleich hier um die Ecke rum. Wir hätten schmuggeln können wie die Wilden, verstehnse.
Also dit war die Grenzsituation.
Die Bernauer Straße war ja die Grenzstraße und in der Ackerstraße hörte der Osten auf und dann begann
der Westteil. Und auf der Ostseite waren immer die Volkspolizisten und drüben standen die Schupos, also
die Westberliner Polizei. Und Heiligabend sind wir denn nach dem Fest in der Versöhnungskirche mehrere
Jahre lang nochmal los gelaufen, mit´n paar Leuten vom Posaunenchor und haben dann praktisch ´ne
kleine Bescherung gemacht. Wir haben geblasen an der Grenze, und ´n paar Gaben für die Ostpolizisten
und für die Westpolizisten.
und hier kann man weiterlesen:
http://www.berlinstreet.de/1442Regine Hildebrandt -
Erinnerungen von Aro Kuhrt - 27. Juli 2009
W. T.