Der 17. Juni 1953 im Erzgebirge
http://www.grin.com/de/e-book/87128/der ... erzgebirgeHausarbeit von Stefan Vogler Universität Leipzig (Historisches Seminar)
Zitat:
Dieser Abschnitt der Hausarbeit wird sich hauptsächlich auf das Buch von Heidi Roth Der 17. Juni 1953 in Sachsen stützen, da eine erneute Bearbeitung der von Roth gesichteten MfS- Akten einen wesentlich größeren Aufwand bedeutet hätte. Im Hinblick darauf, dass das 1999 erschienene Werk auf breiter Ebene Anerkennung gefunden hat, erscheint mir ein direkter Bezug auf Heidi Roth legitim.
Der 17. Juni 1953 in Sachsen von Heidi Roth
...
2.1. Die Situation in Karl- Marx- Stadt
Wenn man davon ausgeht, dass die Stadt Chemnitz erst am 10. Mai des Jahres 1953 in Karl- Marx- Stadt umbenannt wurde, lässt sich daran ein gewisser Anspruch der SED- Bezirksleitung an das Verhalten der mittlerweile Karl- Marx- Städter ableiten. „Es hätte nun ganz und gar nicht in das Bild der SED- Führung gepasst, wenn nach dieser Namensverleihung die angeblichen Herren der Betriebe den Aufstand gegen die SED geprobt hätten.“[4]
Aus diesem Grund waren die Funktionäre der SED- Bezirksleitung Karl- Marx- Stadt sehr früh bemüht, jegliche Aufstände, Unruhen und Demonstrationen in Stadt und Bezirk zu verhindern. Zahlreichen Dokumenten des MfS zufolge muss es bereits 14 Tage vor den Großereignissen in Berlin verschiedene Streiks und Arbeitsniederlegungen mit einer Dauer von bis zu viereinhalb Stunden in Karl- Marx- Stadt gegeben haben.[5] Dadurch motiviert – und durch die Ereignisse in Johanngeorgenstadt[6] sensibilisiert - überlegten die leitenden Staats- und Parteifunktionäre bereits in der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1953, wie öffentliche Proteste zu vermeiden wären. Heidi Roth stellt hier besonders heraus, dass im Gegensatz dazu die Spitzenfunktionäre in Leipzig und Dresden erst am frühen Morgen des 17. Junis durch einen Telefonanruf aus Berlin geweckt wurden.[7]
Wenn man den Schilderungen bei Roth folgt, leiteten die Verantwortlichen der Staatsorgane sowie der Partei sofort zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen ein. Neben dem Schutz ihrer eigenen Machtbasen, wie der SED- Bezirksleitung und dem Rat des Bezirkes, schickte man zu Beginn der Frühschicht am 17. Juni eigene Mitarbeiter und sogenannte „Instrukteure“ in die Schwerpunktbetriebe. Bereits in der Nacht liefen die Vorbereitungen für eine massive Machtpräsentation durch Polizei und Militär im gesamten Bezirk. Damit wollte man größeren öffentlichen Demonstrationen und Streiks von Anfang an entgegnen. So wurde am 17.06.1953 um 2.30 Uhr die Bezirksbehörde der Volkspolizei Karl- Marx- Stadt von Berlin aus fernmündlich informiert, die im Bezirk stationierten Wacheinheiten unverzüglich zu mobilisieren. Bereits 45 Minuten später kam es zur Bildung einer Einsatzleitung bei der Volkspolizei.
Nachdem diese ihre eigenen Wacheinheiten in Karl- Marx- Stadt, Aue und Plauen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt hatte, begann die Einsatzleitung ein weitreichendes Netzwerk aufzubauen. Dabei ging es der Volkspolizei, und allen voran dem Chef der Bezirksdirektion, VP- Inspekteur Paul Schwager, um eine zentrale Koordination der Einsatzkräfte sowie dem Schutz „gesellschaftlich wichtiger Einrichtungen“. Dazu gehörten seinerzeit Eisenbahnanlagen, Betriebe der Nahrungsmittelindustrie, alle Elektrizitäts-, Wasser- und Umspannwerke sowie Telegraphenämter. Um darüber hinaus noch einen zuverlässigen Schutz der eigenen Objekte und denen der SED zu erreichen, nahm die Einsatzleitung der VP schnell Kontakt mit der SED- Bezirksleitung auf. Es kam weiterhin zu einer verstärkten Kommunikation und Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit, den sowjetischen Dienststellen, dem in der Bezirksstadt ansässigen Betriebsschutz der Wismut, der Grenzbereitschaft Karl- Marx- Stadt sowie den Dienststellen der Kasernierten Volkspolizei in Bärenstein und Frankenberg.[8]
Obwohl es in Karl- Marx- Stadt selbst – im Vergleich zu den beiden anderen sächsischen Bezirksstädten – am 17. Juni 1953 sehr ruhig blieb, scheint innerhalb der Bevölkerung jeder etwas von den Ereignissen in Berlin gehört zu haben.
Wie der Zeitzeuge Lutz Kümmerling berichtete, erlebte er damals als 14jähriger am Chemnitzer Theaterplatz die Machtdemonstration der Sowjetischen Streitkräfte. So ist er am 17. Juni, 14.00 Uhr nach der Schule mit Freunden vom Kaßberg in Richtung Hauptbahnhof gelaufen, um zu sehen, ob an den Gerüchten von Streik und Umbruch etwas Wahres sei. In Höhe des heutigen Hotels „Chemnitzer Hof“ kam ihnen ein sowjetischer Konvoi – vermutlich aus der Kaserne am Zeisigwald – mit einem Jeep sowie 12 T34- Panzern entgegen. Die Kolonne bog dann direkt in die Carolastraße, dem Sitz der sowjetischen Kommandantur, ein.[9] Menschenansammlungen oder selbst Streiks waren in der Industriestadt nicht wahrzunehmen. Überliefert sind lediglich kurzzeitige Arbeitsniederlegungen in den vier volkseigenen Betrieben VEB Vereinigte Gießereien, VEB Büromaschinenwerk I, VEB Schleifmaschinenbau sowie VEB Textima Spinnerei- und Zwirnmaschinenbau.[10]...]
Anmerkung zu Johanngeorgenstadt. Hier wurde bereits am 15. Juni gegen den geplanten Abriss der Altstadt demonstriert. Doch durch die Bedeutung der WISMUT und die Nähe zur Grenze wurde der Aufstand rasch niedergeschlagen. Ansonsten blieb es bei der Wismut im Bezirk Karl-Marx-Stadt ruhig, was ich früher schon einmal geschrieben hatte!
mfg
pentium