Ehemaliges DDR-Kinderheim in Grünberg...

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Beitragvon pentium » 10. Juli 2022, 11:08

Ehemaliges DDR-Kinderheim in Grünberg: Wie es nach dem Aktenfund weitergeht

Die Dokumente aus dem ehemaligen Kinderheim in Grünberg werden zurzeit konserviert. Und dann wird es spannend.
Grünberg/Freiberg.

Die aus einer leer stehenden ehemaligen Fabrikantenvilla in Grünberg gesicherten Akten und Dokumente werden jetzt von einer Fachfirma konserviert. Dem Referat "Zentrale Dienste" im Landratsamt sei es kurzfristig gelungen, Geld für diese Konservierung bereitzustellen, sagt der Leiter des Kreisarchivs, Hartmut Petzak. Bis Dezember sollen diese Arbeiten dauern, danach könne mit der fachlichen Erschließung der Dokumente im Kreisarchiv begonnen werden, so Petzak weiter. Bislang sind die Ende März von Mitarbeitern des städtischen Bauhofs Augustusburg aus dem Gebäude geholten Akten und Dokumente Blatt für Blatt gesichtet und geordnet worden, um die von Feuchtigkeit und Schmutz teils stark in Mitleidenschaft gezogenen Papiere für die fachgerechte Konservierung vorzubereiten. Dabei haben auch Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung Augustusburg geholfen. Insgesamt seien es rund sieben laufende Meter Akten und Dokumente.


https://www.freiepresse.de/mittelsachse ... 1657385127

"Wir sind, seitdem der Aktenfund dem Kreisarchiv in einem desolaten Zustand übergeben wurde, mit dem Sächsischen Staatsarchiv, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und einzelnen Historikern, die sich mit der Geschichte der Kinderbetreuung in der DDR detailliert befasst haben, im Gespräch und optimistisch, dass die Auswertung der Unterlagen bald in professionelle Hände gegeben werden kann", sagt Hartmut Petzak. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hatte nach Bekanntwerden des Aktenfundes großes Interesse am Thema Zwangsadoptionen und fachliche Unterstützung signalisiert.

Die Villa an der Hohenfichtener Straße in Grünberg steht unter Denkmalschutz, aber seit gut 20 Jahren leer. Bis 2001 nutzte die Gemeinde Hohenfichte, die seit 1994 zu Leubsdorf gehört, eine Etage als Kindergarten. Wohl in den 1950er-Jahren wurde die Villa zum Kinderheim. Jeweils bis zu 100 Kinder wurden hier betreut. In den 1980er-Jahren wurde eine Station zur Wochenkrippe, wo bis zu 40 Kinder von Mitarbeiterinnen der Baumwollspinnerei von Montag bis Freitag rund um die Uhr betreut wurden.
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Re: Ehemaliges DDR-Kinderheim in Grünberg...

Beitragvon pentium » 2. Mai 2024, 13:34

Suche nach der verlorenen Kindheit

In der Ruine eines früheren Kinderheims in Grünberg wurden vor zwei Jahren alte Akten und Unterlagen gefunden. Es sind Dokumente zu Adoptionen dabei und vielleicht geht es auch um politisch motivierte Zwangsadoptionen in der DDR.

Von Matthias Behrend

Grünberg - Matthias Mikolajek musste 69 Jahre alt werden, um zu erfahren, wo er geboren wurde. Es war der Tag seiner Einschulungsuntersuchung 1962, als ihm klar wurde, dass etwas nicht stimmt. Sein Impfausweis lag auf dem Schreibtisch des Arztes, und Matthias Mikolajek erinnert sich noch genau daran, wie er in einem unbeobachteten Moment das kleine Papierheftchen umdrehte und sah, dass sein eigentlicher Nachname durchgestrichen war und darüber jemand mit wackeligen Buchstaben den Namen „Mikolajek“ geschrieben hatte. Er fragte seine Eltern, was das zu bedeuten habe. Und schließlich erzählte ihm der Mann, der bis dahin sein Vater war, dass er adoptiert worden sei und dass er die ersten drei Jahre seines Lebens im Kinderheim in Grünberg verbracht habe.

Das frühere Käthe-Kollwitz-Kinderheim ist eine ehemalige Fabrikantenvilla mit 4000 Quadratmeter großem Grundstück und Nebengebäude am Ortsrand von Grünberg (Landkreis Mittelsachsen), die seit mehr als 20 Jahren leer steht und verfällt. Der letzte bekannte Eigentümer lebt im Ausland und ist nicht erreichbar. Im März 2022 rückte die Ruine plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses, nachdem eine Spaziergängerin eine alte Akte gefunden hatte, in der es um die Adoption eines Kindes ging.

Die Frau brachte die Akte ins Augustusburger Rathaus, weil Grünberg ein Ortsteil der Stadt ist. Sie sagte, dass noch mehr solche Akten und Dokumente in der Ruine liegen. Im Rathaus entschloss man sich, die Unterlagen zu bergen und ins Kreisarchiv nach Freiberg zu bringen. Dort wurden die Papiere, die teilweise durchnässt und verblichen waren, grob sortiert, um sie für eine technische Konservierung und spätere fachliche Erschließung vorzubereiten.

Claudia Härtel, die als Sachbearbeiterin im Bauamt der Stadt Augustusburg arbeitet, half zusammen mit einer Kollegin beim ersten Sortieren. Vier Tage lang waren die beiden Frauen im Mai 2022 im Kreisarchiv in Freiberg und was sie dabei auf dem vergilbten Papier sahen und lesen mussten, hat sie erschüttert. „Es waren Briefe dabei von inhaftierten Müttern, die sich erkundigt haben, ob ihre Kinder schon laufen und die wissen wollten, ob sie ordentlich essen“, erinnert sich Claudia Härtel.

Es gab viel Schriftverkehr mit Gefängnissen in der früheren DDR, zum Beispiel Bautzen, Hoheneck, Prenzlau oder Karl-Marx-Stadt. Claudia Härtel erinnert sich an einen Ablehnungsbescheid einer Abtreibung oder an eine Dienstanweisung für das Kinderheimpersonal, wonach die „Kinder nicht von sich zu werfen sind“.

Und es gab mehrere Dokumente und Akten über konkrete Adoptionsvorgänge. Mit deren Auswertung lässt sich vielleicht klären, ob es im früheren Kinderheim in Grünberg neben den ganz normalen Adoptionen auch politisch motivierte Zwangsadoptionen gegeben hat.

An einem sonnigen Apriltag 2024 steht Matthias Mikolajek mit seiner Frau Veronika vor der Kinderheimruine in Grünberg. Er hatte sich nach dem ersten Bericht über den Aktenfund gemeldet und gesagt, dass er unbedingt nach Grünberg kommen wolle. Er hat keine konkreten Erinnerungen an seine ersten drei Lebensjahre im Heim. Aber er will sich ein Bild machen davon. Die Suche nach seinen Wurzeln hat schließlich sein Leben bestimmt. Es ist eine irre Geschichte entlang von Fragezeichen und Zufällen, Glück und Unglück, die sich nur schwer in ein paar Sätze pressen lässt.

Der Impfausweis war lange das einzige Herkunftsdokument, das Matthias Mikolajek besaß. Demnach hieß er Mathias Schwarz und wurde am 24. April 1955 in Olbernhau geboren. 1969 erhielt er nachträglich eine amtliche Geburtsurkunde, die er für eine Jugendtourist-Reise nach Bulgarien benötigte. Laut der Urkunde hieß er Matthias Schwarz mit doppeltem T, wurde am 24. April 1955 in Zwickau geboren und am 6. August 1958 von den Eheleuten Mikolajek „an Kindes statt angenommen“.

1982 erkrankte Matthias Mikolajek schwer und einer der Ärzte riet ihm, in der Familiengeschichte nach möglichen Hinweisen zu forschen, die bei der Diagnose hilfreich sein könnten. Er kannte inzwischen den Namen seiner leiblichen Mutter und wusste, dass sie im Zeitraum seiner Geburt in Regis-Breitingen gelebt hat und dass sie danach mit dem zwei Jahre älteren Stiefbruder nach Westberlin gezogen ist.

Mikolajek recherchierte im Kirchenbuch, fragte frühere Nachbarn und bekam schließlich eine Adresse in Westberlin. „Ich musste vorsichtig sein“, sagt er. Mitte der 1980er-Jahre waren solche Nachforschungen nicht ungefährlich. Er schrieb seiner leiblichen Mutter einen Brief und erhielt eine drei Seiten lange. „Man hat an der Schrift erkannt, dass sie lange daran geschrieben hat und dass es ihr schwergefallen sein muss“, sagt Matthias Mikolajek. Schließlich konnte er mit seiner Mutter telefonieren und 1985 trafen sich die beiden erstmals auf einem Autobahnparkplatz.

Es folgten weitere Treffen und einmal nur, zum Schulanfang von Matthias Mikolajeks Sohn 1988, waren die Mutter und ihre beiden Söhnen vereint. Zu seinem zwei Jahre älteren Stiefbruder, der in Rheinland-Pfalz lebte, hatte Matthias Mikolajek ebenfalls Kontakt geknüpft und beide hatten bis zu dessen Tod 2021 ein enges Verhältnis.

Fortsetzung....
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Re: Ehemaliges DDR-Kinderheim in Grünberg...

Beitragvon pentium » 2. Mai 2024, 13:37

Nach allem was Matthias Mikolajek heute weiß, war er das zweite uneheliche Kind seiner leiblichen Mutter und wahrscheinlich war die Schmach darüber damals Mitte der 1950er-Jahre so groß, dass sie ihn unmittelbar nach der Geburt ins Heim gegeben hat. Über die Geburt, den tatsächlichen Geburtsort und ihre Beweggründe, den neugeborenen Sohn ins Kinderheim zu geben, hat sie nie gesprochen.

„Vielleicht waren es verdrängte Schuldgefühle, die Schmach – ich weiß nicht, warum“, sagt Matthias Mikolajek. Er habe sie bis zu ihrem Tod immer wieder gefragt, aber bekam nur Schweigen als Antwort. Was er von ihr erfuhr: „Sie sagte, dass sie nie einer Adoption zugestimmt hat.“ Und tatsächlich tragen die Unterlagen, die er von seinen Adoptiveltern bekommen hat, keine Unterschrift seiner leiblichen Mutter.

Von der Adoptivfamilie hat Matthias Mikolajek nur seinen Nachnamen behalten. Den Kontakt zur leiblichen Mutter hat er kurz vor deren Tod wieder verloren. Er vermutet, dies war damals auf Betreiben der argwöhnischen Stiefschwestern geschehen.

Die Geschichte von Matthias Mikolajek ist wohl keine politisch motivierte Zwangsadoption. Es gibt für diesen Begriff bislang auch keine Definition, nur eine Beschreibung. Das Thema Zwangsadoption ist ein dunkles Kapitel der ostdeutschen Vergangenheit. Belastbare Zahlen dazu gibt es nicht, aber es gibt die Geschichten von Betroffenen, die oft schwer traumatisiert sind.

Die 2014 gegründete Interessengemeinschaft „Gestohlene Kinder der DDR“ vertritt Betroffene von Zwangsadoptionen und hat 2018 mit einer Petition an den Deutschen Bundestag immerhin erreicht, dass Adoptionsakten bei Jugendämtern, Gerichten, Standesämtern oder Kliniken trotz Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht mehr vernichtet werden dürfen.

Wissenschaftlich untersucht worden ist das Thema bislang nur von einer 2018 veröffentlichten Vorstudie, die den Zeitraum von 1966 bis 1990 betrachtet hat und die hochgerechnet von mehreren hundert Betroffenen ausgeht. Unstrittig ist, dass die Drohung mit Kindesentzug von der Partei- und Staatsführung in der DDR als politisches Druckmittel eingesetzt wurde und dass zum Beispiel politisch unbequemen Eltern oder ertappten Republikflüchtlingen unter dem Vorwand asozialen Verhaltens ihre Kinder weggenommen wurden. Manche von ihnen suchen noch immer vergeblich nach ihren Eltern oder Eltern nach ihren Kindern.

Seit Juli 2022 gibt es ein Forschungsprojekt zu politisch motivierten Zwangsadoptionen in der DDR von 1949 bis 1990. Es ist Resultat eines Bundestagsbeschlusses vom Juni 2019, der auch die Einrichtung der Zentralen Vermittlungs- und Auskunftsstelle umfasste. Das Forschungsprojekt ist auf drei Jahre angelegt und wird mit einer Million Euro vom Bundesinnenministerium finanziert. Ziel ist, die tatsächliche Dimension der Zwangsadoptionen in der DDR zu erforschen, eine verbindliche Definition des Begriffs zu formulieren und zu zeigen, wie solche Verfahren abgelaufen sind. Beteiligt daran sind die Universitäten in Leipzig, Düsseldorf, Mainz und Frankfurt am Main unter Federführung des Deutschen Instituts für Heimerziehungsforschung.

Einem Ministeriumssprecher zufolge wurde das umfangreiche Forschungsprojekt erst kürzlich um sechs Monate verlängert. In einer ersten Stufe sind Zeitzeugen aufgerufen worden, über ein eigens eingerichtetes Onlineportal ihre Geschichten zu erzählen.

Matthias Mikolajek wohnt mit seiner Frau Veronika seit vielen Jahren in Treben bei Altenburg. Wie geht er heute mit seinem Schicksal um und mit den Fragen, die unbeantwortet geblieben sind? „Ich bin nicht verbittert“, sagt er. Er habe eine eigene Familie, ein eigenes Leben und er sei ein Familienmensch.

Aber die Fragen lassen ihn nicht los. Er schaut sich Dokumentationen über verlassene und vergessene Kinder an. Solche Geschichten krallen sich an ihm fest und er fragt sich jedes Mal wieder, wie man es nur aushält, sein Kind zurückzulassen oder zurücklassen zu müssen. Vielleicht stellt er sich selbst diese Frage, weil er von seiner Mutter keine Antwort bekommen hat. Ein Rätsel bleibt für ihn auch, warum er als Heimkind ausgerechnet in Grünberg landete.

Seine Mutter lebte damals in Regis-Breitingen. Geboren wurde er, das hat die Recherche der „Freien Presse“ ergeben, tatsächlich in Zwickau – in einer privaten Frauenarztpraxis an der Parkstraße, am 24. April 1955 um 2.15 Uhr. Regis-Breitingen, Zwickau, Grünberg – das ist zumindest eine merkwürdige Reise.

Ob die Geschichte von Matthias Mikolajek Bestandteil der vor zwei Jahren in der Grünberger Kinderheimruine gefundenen Akten und Dokumente ist, bleibt ungewiss. Die Unterlagen sind zwar inzwischen technisch konserviert, liegen aber auf sieben Regalmetern weiterhin unbearbeitet im mittelsächsischen Kreisarchiv, weil es dort keine personellen Kapazitäten für eine Sichtung und Aufarbeitung gibt. Auf Nachfrage heißt es aus der Landkreisverwaltung, dass wohl frühestens im kommenden Jahr mit einer fachlichen Erschließung begonnen werden könne.

„Sie sagte, dass sie nie einer Adoption zugestimmt hat.“

Matthias Mikolajek über seine leibliche Mutter

https://www.freiepresse.de/mittelsachse ... el13352931
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Re: Ehemaliges DDR-Kinderheim in Grünberg...

Beitragvon Edelknabe » 2. Mai 2024, 15:41

Aus dem Vortext:

"Sie sagte, dass sie nie einer Adoption zugestimmt hat.“Textauszug ende

Nur dagegen etwas unternommen scheint die Frau auch nicht zu haben. Deswegen wohl ihr Schweigen bis zu ihrem Tode, gegenüber dem Sohnemann. Frage noch. Wie soll das eigentlich gehen, zur Einschulungsuntersuchung das der Junge irgend welche Namen lesen, gar unterscheiden kann?

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