Um mal wieder zu den Erinnerungen an die DDR zurückzukommen, nachstehend die Erinnerungen von weiteren Menschen:
Kulturelle Bruchstücke Kulturelle Bruchstücke der DDR in einer Kindheitserinnerung Nach langer Überlegung zur Frage: „Was ist Ihrer Meinung nach von der DDR geblieben?“, sind mir einige persönliche Alltagssituationen eingefallen, die für mich als Fragmente der DDR in Erscheinung getreten sind. In Hinblick auf die kommende Weihnachtszeit möchte ich hierbei auf eine ganz bestimmte Erinnerung aus meiner Kindheit eingehen.
So standen meine Schwester und ich am 24. Dezember zu früher Stunde auf und erwarteten mit großer Vorfreude den festlichen Akt von Heiligabend. Da es bis zum Weihnachtsfest noch einige Stunden dauern würde und unsere Eltern mit den Vorbereitungen beschäftigt waren, überbrückten wir die Zeit mit dem Weihnachtsfernsehprogramm. Unter den vielen Klassikern, die im Rahmen der Feiertage ausgestrahlt wurden, haben wir uns besonders gerne die Märchenfilme angeschaut. Gespannt haben wir den Abenteuergeschichten vom „Kleinen Muck“ gelauscht oder sind mit kindlicher Begeisterung in die märchenhaften Welten von „Froschkönig“, „Frau Holle“, „Schneewittchen“ und „Aschenbrödel“ eingetaucht.
Erst später bemerkte ich, dass viele dieser Märchenklassiker vom ostdeutschen Filmunternehmen Deutsche Film AG (abgekürzt DEFA) produziert worden sind.
Was ist also für mich von der DDR geblieben? Diese Frage wäre vielleicht einfacher zu beantworten, wenn man die DDR selbst miterlebt hätte. Bei genauer Betrachtung können allerdings viele Überbleibsel der DDR in unserem alltäglichen Leben angetroffen werden. Das gilt wahrscheinlich für meine Heimatstadt Berlin ganz besonders. Jedenfalls können diese Bruchstücke einer vergangenen Zeit in verschiedenster Form auftreten.
So sehe ich eines dieser Überbleibsel der DDR in einer Erinnerung aus Kindheitstagen.
von Julia Baumann
Der Geruch der Lausitzer Laube meiner Omi Wenn ich an die DDR denke, fallen mir sehr viele Geschichten und bekannte Gesichter ein. Die Gesichter stammen von Menschen aus meiner Familie, und die Geschichten haben sie mir erzählt. Es ist schwer, daraus EIN Bild zu formen.
Es gibt jedoch einen Ort, der mir immer wieder durch den Kopf spukt, wenn ich an die DDR denke: Es ist die Holzlaube im wilden Garten meiner Großeltern, in dem meine Oma als Hauptakteurin auftritt. In diesem Bild leuchten auch die vielen bekannten Gesichter und ihre Geschichten auf. Vor allem aber bringe ich diese Erinnerungen mit bestimmten Gerüchen in Verbindung.Ich sehe meinen Opa, meine Oma und ihre vier Kinder, 1978, wie sie ein Haus aus Holz und Kalksandstein bauen, und ich rieche den Schweiß ihrer schweren Arbeit. Ich rieche das verbrannte Holz, das im Ofen des Wohnzimmers fackelt, in dem ich Häuser aus dem Metallbaukasten baue. Ich rieche feuchtes Schilf, das auf dem Dach liegt und durch das der Wind so schöne Melodien pfeift. Ich rieche dicke, bunte Ölfarbe, mit der ich Tiere und Blumen auf die Wände der kleinen Toilette male, und erinnere, wie die Farbe nur schwer von meinen Fingern zu ziehen ist. Ich rieche den Staub einer alten Uniform, den ich wegpuste, bis ein „FDJ“-Abzeichen auf ihr zu erkennen ist. Ich rieche ausgewaschenes „Plaste“ – von Gemüsebehältern und Schokoladenverpackungen, welches meine Oma wiederverwendet für ihre Stifte und Notizen und die sauren Johannisbeeren aus dem Garten. Ich rieche ihre alten Reliefkarten, die sie im Geografieunterricht benutzte und auf denen Worte wie „UdSSR“ stehen, die ich als Kind nicht verstehe. Ich rieche Musiknoten von „Peter und der Wolf“ und erinnere, wie meine Oma mich und meine Cousins drängt, laut vor der Familie zu singen. Ich rieche die Sonnenblumen im Garten, die meine Mama so liebt, und erinnere, wie sie mir erklärt, warum es merkwürdig ist, wenn ich „Kosmonaut“ in der Schule sage. Ich rieche Tränen vom Familienzank, in dem Worte wie „Stasi“ und „Diktatur“ fallen. Politisch betrachtet, bin ich zwei Jahre nach der Wiedervereinigung geboren. Wenn ich aber an die DDR denke, dann denke ich an meine frühe Kindheit.
von Julia Meier
Guten Morgen, du Schöne Maxie Wander. Bilder von und Erinnerungen an DDR-Frauen*Meine Eltern fahren noch heute, 29 Jahre nach dem Mauerfall, nur mit Stadtplan oder Navigationssystem in den Ostteil Berlins – wenn sie denn überhaupt hinfahren. „Als die Mauer noch stand, konnte ich mich nie verfahren: Ich wusste ja immer, wo Schluss war“, beschwerte sich meine Mutter einmal. Wir hatten uns mit dem Auto in Ostberlin tierisch verfahren. Meine Eltern sind wohl das, was man typische „Wessis“ schimpft: Sie betrachten ihr damaliges Leben im Westen als besser, verglichen mit dem in der DDR, bemitleiden die „Ossis“ für das Leben unter Stasi und Bananenmangel und wissen allgemein sehr wenig über die Geschichte des anderen Deutschlands. Umso größer war meine Überraschung, als ich im Winter dieses Jahres im Bücherregal meiner Mutter Maxie Wanders Buch „Guten Morgen, du Schöne“ entdeckte. Ich hatte es ein paar Monate zuvor gelesen und allen, die es hören oder nicht hören wollten, begeistert davon erzählt. Maxie Wander war ein „feministischer Star“ für mich geworden und wie ich herausfand, sie war es ebenfalls für meine Mutter. Auf dem Rückweg von Spandau nach Hause ging mir eine Frage nicht mehr aus dem Kopf: Wieso hatte meine Mutter mir nie von dem Buch erzählt? Meine Mutter ist keine Akademikerin, aber sie hat mir Bücher, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben, immer zum Lesen gegeben. Meine Mutter ist auch keine klassische Feministin, aber Grundvorstellungen von Emanzipation und Selbstbestimmung hat sie mir von Kind auf vermittelt. Das hätte uns, darüber war ich mir in meinem Maxie Wander-Rausch hundertprozentig sicher, doch zu einem Gespräch über das Buch bringen müssen!
Auf der langen U-Bahn-Fahrt nach Hause kam mir folgende Erklärung: Maxie Wander hat es als DDR-Autorin nicht in den BRD-Kanon geschafft, auch nicht für diejenigen, die wie meine Mutter und viele Frauen* in Ost- und Westdeutschland das Buch sehr bewegt hat. Ich fragte mich: Was weiß ich über die Geschichte von Frauen* in Deutschland nach 1945? Die Liste dessen, was ich über die westdeutsche Frauen*-Geschichte in meinem Kopf habe, ist lang. Die über die ostdeutsche hingegen lässt sich unter drei Stichpunkten zusammenfassen: Frauen* haben früh Kinder bekommen, es gab Kindergartenplätze für alle, Frauen* haben gearbeitet. Erst durch die Lektüre von „Guten Morgen, du Schöne“ habe ich einen Einblick in die Realität von Frauen der 70er Jahre in der DDR bekommen, der über das Drei-Punkte-Narrativ hinausgeht. Die westliche BRD-Sicht habe ich nicht nur durch mein Elternhaus, sondern auch durch das Fernsehen und in der Schule erlernt. Dass Maxie Wanders Buch nicht in das kollektive Gedächtnis der Frauen*-Bewegung eingegangen ist (oder zumindest nicht in das meiner Mutter), wohingegen wahrscheinlich jede*r Alice Schwarzers Stern-Aktion zum Thema Abtreibung kennt, ist nicht nur verwunderlich, sondern ein großer Verlust für die deutsche Erinnerungskultur zur DDR-Geschichte.
von Jona Schapira
Weitere Erinnerungen findet man hier:
https://zeitgeschichte-online.de/node/57021