von OaZ » 12. September 2020, 12:18
Grenzertagebuch 23 A
Was ein rhönischer Kuhbauer mit meiner ersten Schicht als K-SiA zu tun hat
Die Kontrollstreife hat mit der Überprüfung des 6-m-Spurenstreifen am vorderen Sperrelement begonnen und hatte in dieser Schicht Glück.
Der KC ließ sie heute an der Trennungslinie zum SiA 8 beginnen. Das bedeutet, sie brauchen später nur den Seelesberg bezwingen und laufen zunächst den Grenzkopf bergab. Ist jedoch auch nicht so prickelnd, denn es staucht unglaublich in den Schienbeinen, wenn man den steilen Bereich zwischen den PoP 105 und 103 quasi nach unten rutscht. In meinem allerersten Einsatz an der Grenze habe ich diese Erfahrung in beide Richtungen gemacht. Ich war mit Ltn. H. unterwegs, schrieb bereits davon.
Wenn die Streife am anderen Teil des SiA beginnen muss, warten die beiden höchsten Erhebungen des 2. Bataillonsabschnittes auf sie und sie sind nach Dienstende vor Erschöpfung nicht mehr ansprechbar.
Es ist hell geworden und von oben sieht die Grenze ganz anders aus als vom Kolonnenweg. Rechterhand erhebt sich der Seelesberg, der sanft nach links abfällt und der Kolonnenweg macht in ca. 500 m einen scharfen Knick, ehe er sich fast gerade bis zur Ulster hinzieht.
Die Felder der hessischen Bauern sehen alle sehr ordentlich aus. Es ist eine Freude, sie anzuschauen. Der B-Turm, auf dem ich sitze, steht ca. in 30 m Entfernung zum eigentlichem Grenzverlauf.
Meine 3 Posten, die ich zu führen habe, erhalten entsprechende Befehle von mir, die ich erteile, nachdem ich sie auf ihre zeitliche Realisierbarkeit mit dem Uffz. abgesprochen habe.
Meine anfängliche Aufregung und auch meine Unsicherheit legen sich ein wenig. Ich nehme mein Fernglas, beobachte das westliche Vorland und lasse meinen Blick entlang des Grenzzauns schweifen. Man kann alles ziemlich gut erkennen, die Ferngläser sind wirklich gut.
Der SiA7, in dem ich mich gerade befinde, ist nahezu ausschließlich mit Grenzzaun 1 gesichert. Das heißt, hier gibt es keine "Selbstschussanlagen", die korrekterweise "Sperranlage mit Splitterminen Typ SM-501" heißen. Nur oberhalb des Grenzkopfes sind noch alte "Tretminen" Typ MS-66 verlegt, die jedoch in Kürze gegen den Grenzzaun 1 ausgetauscht werden.
Im Hessischen fährt ein Muli (grenzsoldatische Bezeichnung für Rhönbauer) auf seinem Traktor über sein Feld.
Wenn hier nicht die Grenze zwei verfeindete Gesellschaftssysteme verbinden würde, könnte man sagen: Es ist idyllisch hier.
Auf DDR-Seite befindet sich in Sichtweite das Dörfchen Apfelbach. Dies trägt seinen Namen nicht grundlos. Sowohl vor als auch hinter dem Grenzsignalzaun befinden sich tragende Apfelbäume, die der Kontrollstreife eine willkommene und schmackhafte Abwechslung bieten.
Auch Pflaumenbäume versüßen im wahrsten Sinne des Wortes den Streifengängern hier die Zeit. Da keiner außer den hier tätigen Grenzsoldaten ernten kann, erhalten sie viel mehr Sonne und somit mehr Reife. Man kann sich kaum vorstellen, wie gut Pflaumen schmecken können ... vor allem, wenn sie überreif sind.
In unmittelbarer Sichtweite befinden sich auch die Ruinen des Seeleshofes. Es ist ein verlassener Bauernhof, der sich inzwischen innerhalb der beiden Zäune im sog. "Todesstreifen" befindet und der täglich von den Kontrollstreifen als mögliche USM (die Abkürzungssprache macht mir in den ersten Wochen ganz schön zu schaffen, USM steht für Unterschlupfmöglichkeit) kontrolliert werden muss.
Es ist wirklich abenteuerlich, ihn korrekt zu kontrollieren, denn dazu muss man ihn betreten ...