Dreist untergruben die Beckers den Todesstreifen
Der RBB widmet den Fluchtstollen von Glienicke-Nordbahn eine sehenswerte Dokumentation. Sie stellt die Geschichte des menschenverachtenden DDR-Grenzregimes dar – und seiner trickreichen Untergrabung.
Von Antonia Kleikamp
Im letzten Moment. Zwischen ein und drei Uhr morgens am 24. Januar 1962 krochen 28 Menschen zwischen neun und 71 Jahren aus dem Loch. Sie waren zuvor durch einen 27 Meter langen Stollen von kaum mehr als 60 oder 70 Zentimeter Durchmesser gerobbt. Der enge Tunnel führte vom Haus der Familie Becker in Glienicke-Nordbahn (DDR) unter der mit Zäunen und Stacheldraht gesperrten Oranienburger Chaussee nach Frohnau in West-Berlin. Schon wenige Stunden später hätten die Beckers laut Stasi-Akte "ausgesiedelt" werden sollen – fort aus dem Grenzgebiet.
Jahrzehntelang waren die dramatischen Umstände dieser und anderer unterirdischer Fluchten in die Freiheit in der Öffentlichkeit weitgehend vergessen. Erst seit einigen Jahren hat sich das geändert. Inzwischen sind mehrere Bücher erschienen, wurden Filme gedreht und Websites freigeschaltet. Doch noch immer ist viel zu entdecken über diese dramatischen und besonders aufwendigen Wege in die Freiheit.
Jetzt hat der Regisseur Thomas Claus, mit Unterstützung der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Fluchtaktion der 28 Glienicker durch den Becker-Tunnel sowie von weiteren 25 Menschen aus der Nachbarschaft durch zwei weitere Tunnel im Mai 1962 und im März 1963 zu einer Dokumentation verdichtet.
Claus hat alle Möglichkeiten zeithistorischer Dokumentation ausgereizt: Er hat Zeitzeugen gefunden und befragt, zusammen mit Experten Akten gewälzt, alte Fotos recherchiert, bisher unveröffentlichte bewegte Bilder aufgetan, digitale Animationen erarbeitet und Schlüsselszenen mit Laiendarstellern nachgestellt. Dafür konnte sein Team sogar, nicht weit vom authentischen Ort, in einem alten Keller die Tunnelgrabung inszenieren.
So gelingt es seinem Film, anhand des früheren Grenzabschnittes in Glienicke-Nordbahn exemplarisch die Geschichte des menschenverachtenden DDR-Grenzregimes darzustellen – und seiner trickreichen, ja dreisten Untergrabung. Dabei verschweigt sein Film nicht, dass in der Nähe des "Entenschnabels" auch drei Menschen ums Leben kamen, als sie den Todesstreifen zu überwinden versuchten.
Weiter mit dem Bericht und einem Auschnitt aus der 45 minütigen Dokumentation hier:
http://www.welt.de/geschichte/article14 ... eifen.html
Die Dokumentation wird übrigens am 3.11.2015 um 20,15 Uhr auf rbb gesendet.