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"Man kann eine Sache auch 20 Jahre falsch machen": Mit seiner Abiturrede empörte der langhaarige Querkopf Alexander Kobylinski 1983 die SED-Kader im Publikum. Der Pfarrerssohn wurde drangsaliert - doch bereut hat er es nicht. Von Peter Wensierski
Weimar 1. Juli 1983. Bei der Abiturfeier der Erweiterten Oberschule "Friedrich Schiller" geschieht am Abend vor der Ausgabe der Abschlusszeugnisse etwas Unerhörtes. Rund 300 Schüler, Lehrer und SED-Genossen hören der Rede des 18-jährigen Mitschülers Alexander Kobylinski zu, als der langhaarige Pfarrerssohn plötzlich Kurt Tucholsky zitiert:
"Lass dir von keinem imponieren, der dir erzählt, lieber Freund, das mache ich schon seit 20 Jahren so." Dann blickt er in den Saal, hebt seine Stimme etwas an und ergänzt: "Man kann eine Sache auch 20 Jahre falsch machen." Ein paar Schüler in der linken Saalhälfte applaudieren zaghaft, die Mienen von Lehrern und Parteigenossen in der rechten Saalhälfte erstarren. Doch Kobylinski redet unbeirrt weiter: "
Ich will damit sagen: Seien wir als junge Generation zu Experimenten bereit, zu denen unsere Eltern und Lehrer nicht bereit waren oder nicht bereit sein konnten, weil es die Umstände nicht zuließen." In Zukunft brauche die DDR mehr Menschlichkeit - und noch etwas: "Wir müssen lernen, mehr in eigener Verantwortung zu denken und zu handeln. Wir und unser Land brauchen Aufrichtigkeit."Nun applaudieren alle Schüler. Eisige Stille auf der rechten Seite des Saales. Kaum hat Kobylinski das Mikrofon verlassen und sich hingesetzt, stürmt der Schuldirektor nach vorne und fordert ihn auf: "Nehmen Sie dies zurück!" Kobylinski geht wieder nach vorne, sagt nur kurz ein Wort: "Nein!" und setzt sich erneut. Der Direktor geht noch einmal ans Mikro, sein Ton ist jetzt schärfer: "Zum letzten Mal: Nehmen Sie dies zurück!" Redner Kobylinski antwortet: "Ich habe nichts zurückzunehmen."
Aus der Stille wird Unruhe, im Saal soll jetzt eigentlich gefeiert werden, ein Büfett steht bereit, danach sollen Musik und Tanz folgen. Aus den Reihen der zusammenstehenden Lehrer und Genossen dringen Beschimpfungen: "Eine Aufforderung zum Putsch war das!", "Dieses Schwein!", "Diese Ratte!", "So ein Arschloch!", "Man braucht sich doch nur mal sein dekadentes Äußeres ansehen!", "Das wird Folgen haben!". Der Direktor ruft befreundete Stasi-Mitarbeiter herbei. Sie drücken sich die kalkweißen Wänden des Saales entlang, wissen aber nicht wirklich, was sie tun sollen.
Weiter mit der Geschichte des mutigen ,damals jungen Mannes bzw. Schülers geht es hier:
http://www.spiegel.de/einestages/ddr-ab ... 52113.htmlAuch er war nicht zu jung, um zu erkennen, was für ein Regime in der DDR herrschte.