Aus dem historisches Archiv der Staatssicherheitsdienste Ungarns
Wie die DDR-Stasi u.a. ihre eigenen Kollegen beschattete
Die DDR-Bürger, die nach Ungarn reisten, standen unter einer sich ständig verschärfenden Beobachtung, da in den Augen der DDR-Führung und der Staatssicherheit praktisch jeder, der seinen Sommerurlaub in einem sozialistischen Land verbrachte, das in der Nachbarschaft eines westlichen Staates lag, auch die Absicht hatte, einen ungesetzlichen Grenzübertritt zu versuchen, also Republikflucht zu begehen.
In der Tat versuchten viele DDR-Staatsbürger, über ein befreundetes sozialistisches Land in einen westlichen Staat zu gelangen, aber natürlich hatten nicht alle Urlauber derartige Pläne. Für solche Versuche bot Ungarn auch aufgrund seiner geografischen Lage ausgezeichnete Möglichkeiten, sodass der beobachtende Blick der Staatssicherheit ganz bis zum Balaton reichte.
Diese Methode bedachte Monika Tantzscher mit dem Begriff „verlängerte Mauer“.
Die Staatssicherheit trat nicht nur gegen diejenigen auf, die sie zur Regimeopposition zählte, sondern beeinflusste auch das Leben der „schweigenden Mehrheit“. Sie drang in alle Bereiche des Alltagslebens ein und strebte nach einer ständigen und umfassenden Beobachtung der Staatsbürger, auch noch zur Zeit der „wolkenlosen“ Sommerurlaube am Balaton. 1989 hatte sich die Staatssicherheit – im Verhältnis zur Einwohnerzahl der damaligen DDR – zum größten Geheimdienst der Welt entwickelt und erzwang auf beispiellose Art und Weise die fast vollständige Überwachung der ostdeutschen Gesellschaft. Mittels der Ofenlegung der Inhalte, die sich hinter der primären
Bedeutung der Dokumente verbergen, zeichnet sich ab, wie das mehrere Jahrzehnte alte Bewusstsein der Präsenz der Staatssicherheitsdienste das Leben der Menschen beeinflusste und welche Auswirkungen es auf das Alltagsleben und die Denkweise der Staatsbürger hatte.
Berücksichtigt man den – bereits erwähnten – Richtungswechsel hinsichtlich des Interessensbereichs der ungarischen Staatssicherheit auf dem Gebiet der Kontrolle des Fremdenverkehrs und liest man die in den 1980er Jahren entstandenen relevanten Dokumente mit Bezug auf die DDR, dann wird spürbar, dass die DDR-Touristen die ungarische Staatssicherheit immer weniger interessierten. Aber auch gegenüber den Personen, die aus der Bundesrepublik einreisten, ließ die frühere Wachsamkeit und Verdächtigung nach. Die ungarische Staatssicherheit wickelte das Verfahren gegen verhaftete DDR-Staatsbürger in zunehmendem Maße nur mehr wohl oder übel, den existierenden zwischenstaatlichen Abkommen Genüge leistend, nach dem üblichen Geschäftsgang ab, und zwar so, dass man die Angelegenheit möglichst schnell erledigte und die entsprechende Person dem Stasirepräsentanten in Ungarn übergab.
All diese Prozesse zeichnen sich sehr gut beim Studium des Wortlauts und des Sprachgebrauchs der Dokumente ab: Die Ermattung der Aufmerksamkeit der ungarischen Staatssicherheit und die Verlagerung ihres Interesses werden greifbar. Bei der Tätigkeit der DDR-Stasi hingegen war die Tendenz – wie bereits gezeigt – entgegengesetzt: In den Jahren nach der Errichtung der Berliner Mauer begleitete diejenigen, die nach Ungarn oder sonst wohin reisten, eine sehr starke Aufmerksamkeit. Diese verringerte sich – auch zusammen mit dem Anstieg der Zahl der Ausreisenden – nur vorübergehend.
Mit dem Nahen der 1980er Jahre verstärkte sich die besondere Überwachung erneut. Die Stasi war bis zum Ende des Jahrzehnts unermüdlich und das Jahr 1989 bzw. der – auch vom Gesichtspunkt der Staatssicherheit – „heiße Sommer“ bedeutete gleichsam den Höhepunkt all dessen. Demgegenüber passten die Angelegenheiten der DDR-Bürger 1989 kaum mehr in den Interessenbereich und in die Kapazitäten der ungarischen Staatssicherheit hinein. Die Ostdeutschen trafen zwar in immer größerer Zahl in Ungarn ein, inmitten der Verdichtung der ungarischen und internationalen Ereignisse genossen sie aber weder bei der Presse, noch in der öffentlichen Meinung, noch seitens der politischen Akteure herausragende Aufmerksamkeit.
Ende der 1980er Jahre gab es am Ufer des Balatons auffällig viele Kontrollen, bei denen es die Aufgabe der Stasi war, einen zum Innenministerium der DDR, zur Volksarmee oder gerade zum Ministerium für Staatssicherheit gehörenden Mitarbeiter – also gleichsam einen Kollegen – zu kontrollieren und seine westdeutschen Kontakte auszuspionieren.
Natürlich schöpften die überwachten Kollegen Verdacht: Sie verkehren regelrecht mit niemand anderem, als mit ihren westdeutschen Freunden, nahmen die Nummernschilder von ihren Autos herunter, parkten mit ihnen in den Garagen der Hinterhöfe oder schoben sie in dichte Büsche und gingen regelmäßig Streife um ihre eigenen Zelte. Geschickte inoffizielle Mitarbeiter verschafften sich natürlich auch in diesen Fällen die gewünschten Informationen: Sie krochen in Gärten und zwischen Büsche, wobei sie auch die Gefahr einer Dekonspiration, also einer Enttarnung, in Kauf nahmen.
Aus dem Blickwinkel der Staatssicherheit wurde es immer wichtiger, die Gesamtstärke der Organisation zu bewahren. Wenn sich bereits ihre eigenen Leute mit „Westlern“ befreundeten, wenn sie Informationen ausplauderten und wenn auch sie vielleicht versuchten, die Grenze nach Österreich zu überschreiten, dann konnte die tatsächliche Lage kaum mehr verhüllt werden, nämlich die Tatsache, dass – neben den wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten – in der DDR die innere Fäulnis auch in den Organen der Macht eingesetzt hatte. ..............Ende Teil 1
AZ