aus den Borsig Lokomotivwerken

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aus den Borsig Lokomotivwerken

Beitragvon Gerd Böhmer » 20. Februar 2025, 17:31

Berliner Lokal Anzeiger, 21. März 1941
40 Berufe bauen ein Dampfroß
Aus Anlaß der Fertigstellung der 15.000-ten Lokomotive in den Werkstätten der Borsig-Lokomotivwerke in Berlin Hennigsdorf fand am Donnerstagnachmittag - wie bereits berichtet - in der großen Montagehalle des Werkes ein Betriebsapell statt, auf dem der Betriebsführer, Baurat Kleinow, in groben Umrissen ein Bild von der Entwicklung des Unternehmens entwarf, das im Verlaufe von etwa hundert Jahren 15.000 Dampflokomotiven gebaut hat.
Die Jubiläumsausführung, eine moderne verkleidete 2 C 1-Dampflokomotive, bildete mit ihrem neuen Anstrich das kostbare Schmückstück der Halle und war für alle jene eine besondere Freude, die an ihrer Entstehung haben mitarbeiten dürfen. Rund 20.000 Arbeitsstunden mußten aufgewendet werden, um dem Material die endgültige Form zu geben. Schlosser, Fräser, Nieter, Maler, Dreher, Gießer, Tischler, Tapezierer und viele andere Berufsgruppen, alles in allem etwa 40 an der Zahl, schaffen an einem solchen modernen Dampfroß und setzen die auf etwa 800 Zeichnungen niedergelegten konstruktiven Einzelheiten in die Tat um. Auf mehreren hundert weiteren Zeichnungen sind Angaben des für die Herstellung einer solchen Maschine erforderlichen Vorrichtungsbaues, sowie der Werkzeuge festgelegt. Dazu kommen noch viele durch Normung vereinheitlichte Teile für die keine Einzelzeichnungen mehr erforderlich sind.
Zählt man alle Teile zusammen, aus Denen eine solche Dampflokomotive besteht, so kommt man bei der Reihe 03 auf etwa 14.000 Stück. Sie alle wollen hergestellt, bearbeitet und für den Zusammenbauvorbereitet sein. Während früher noch erhebliche Mengen devisengebundener Rohstoffe benötigt wurden, setzt sich ein Dampfroß von Heute zu etwa 99 v.h. aus Eisen und Stahl zusammen. Das Leergewicht der Jubiläumslokomotive beträgt 94 Tonnen, wofür etwa 40 v.h. mehr Ausgangsmaterial notwendig waren, das bei der Bearbeitung in den Abfall wanderte. Gegenüber früheren Ausführungen konnten allein 4 Tonnen Kupfer gespart werden, indem man sich entschloß, auch die Feuerbüchsen völlig aus Eisen anzufertigen. Durch Anwendung neuartiger Arbeitsverfahren ist es möglich geworden, das ehemals für unentbehrlich gehaltene Kupfer vollwertig durch Eisen zu ersetzen. Die Gesamtheizfläche beträgt 200 Quadratmeter. Weitere 70 Quadratmeter sind für den Überhitzer erforderlich. Der Dampf übt einen Druck von 16 Kilo je Quadratmeter aus und bewegt in jedem der drei Zylinder die Kolben in der Sekunde mehrmals mit einem Druck von 80.000 Kilogramm vor sich her. Die Gesamtleistung der mit Tender etwa 24 Meter langen Lokomotive beträgt 2000 PS. Durch die etwa 5 Tonnen schwere stromlinienartige Verkleidung konnte die Leistung allein um 500 PS gesteigert werden. Im Verhältnis zu einer nicht windverkleideten Lokomotive gleicher Bauart beträgt die Ersparnis an Kohle 15,2 v.h. und die Ersparnis an Dampf 2 bis 3 v.h. Etwa 2 Kilometer Rohrleitungen finden in der Riesenmaschine, deren Organismus der Lokomotivführer an etwa 50 Meßstellen, Ventilen und Hähnen überwachen und feuern (vom Lokheizer gefeuert werden) muß. Mit einem Wasserinhalt von 37.000 Liter kann die Lokomotive der Baureihe 03 etwa 300 Kilometer in ununterbrochener Fahrt - entsprechend der Entfernung von Berlin nach Hamburg - zurücklegen. Um auf volle Fahrt zu kommen braucht die Lokomotive rund 15 Kilometer "Anlauf".
Nur in engster Gemeinschaftsarbeit ist die Fertigstellung einer solchen Dampflokomotive möglich. Da ein Leben niemals ausreicht, die Arbeit zu bewältigen und ein Mann niemals die Kenntnisse aufbringen könnte, die dazu gehören, die stolzen Konstruktionen des Ingenieurgeistes in die Wirklichkeit umzusetzen - HKL -

edit - die Firma Borsig veränderte die Zuteilung der Fabriknummern, damit die Fabriknummer 15.000 einer Stromlinienlokomotive, der Lok 03 1020 zugeteilt werden konnte.
Bild aus der Eisenbahnstiftung https://eisenbahnstiftung.de/images/bildergalerie/95412.jpg der 03 1020, Borsig 15000.
MfG Gerd Böhmer,
Reichsbahninspektor aD
http://www.gerdboehmer-berlinereisenbahnarchiv.de
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Gerd Böhmer
 
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