pentium hat geschrieben:Meine Güte, das ist ja eine richtige Lobhudelei auf den Film. Es muss doch nun nicht jeder diesen Film spitze finden oder? Die Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Natürlich sind sie das.
Hier mal eine
Kritik von filmdienst.de:Schon in ihrem Regiedebüt „Vineta“ hatte Franziska Stünkel 2006 von einem Mann erzählt, dem auf einer abgeriegelten Insel bei der Planung einer Zukunftsstadt angesichts der Widersprüche zwischen menschenfreundlichem Anstrich und totalitärer Überwachung zunehmend jegliche Kontrolle entglitt. Auch Franz Walter gelingt es in „Nahschuss“ nur eine Zeitlang, die perfide Gestalt seiner Tätigkeit schönzufärben und auszublenden. Zum Kipppunkt wird für ihn die Entscheidung seiner Vorgesetzten, Langfelds Frau eine falsche Krebsdiagnose zu vermitteln, um ihren Mann sportlich endgültig aus dem Tritt zu bringen.
Walter taucht daraufhin aus seiner Deckung auf, wird unvorsichtiger und versucht, sowohl den Fußballer als auch seine Frau vor der Lüge zu warnen, sein Vertrauen in seine Kollegen schwindet rapide und macht der Gewissheit Platz, von diesen ebenfalls betrogen worden zu sein. Und es bleibt nicht bei einem dumpfen Gefühl der Unzufriedenheit, wie schon von Beginn des Filmes an klar war: Immer wieder hat Stünkel Szenen aus einer zweiten Zeitebene eingefügt, die Walter hinter Gittern und als angeklagten „Volksverräter“ vor Gericht zeigen, nun steuert die Handlung unaufhaltsam auf den Punkt zu, an dem Walter von den gnadenlosen Mühlen des DDR-Justizsystems zermahlen wird.
Die Bildsprache greift den „Tunnelblick“ der Hauptfigur auf
Der Gewissensumschwung erfolgt dramaturgisch etwas abrupt, wird aber durch die einmal mehr hochpräzise Darstellung von Lars Eidinger glaubwürdig, der die egoistische Motivation für Walters Eingliederung in die Stasi-Mitarbeit genauso erfassbar macht wie den Absturz in Schuldgefühle, Frust und Paranoia. Unterstützt wird er dabei von einer ausgefeilten Bildsprache, die den „Tunnelblick“ der Hauptfigur auf der visuellen Ebene verstärkt: Ganz auf Walter ausgerichtet, bleibt die Kamera von Nikolai von Graevenitz eng am Protagonisten und macht den Hintergrund oft nur verschwommen sichtbar, zudem entfernt sie sich auch nicht für Einstellungen, die einen größeren Überblick erlauben würden.
Auch die Außenszenen haben somit einen klaustrophobischen Effekt, der sich in den weit häufigeren Szenen in Innenräumen vervielfacht – über die Bilder wird Franz Walter schon lange in einem Gefängnis verortet, bevor er tatsächlich eingesperrt wird. In der Farbzusammenstellung dominieren Grau- und Khaki-Töne, die den Figuren zuerst noch eine falsche Behaglichkeit in der DDR vermitteln, sich dann aber ebenfalls als Elemente der wachsenden beklemmenden Atmosphäre erweisen.
Schuldhaft verstrickt ins Netz des Regimes
Unter den jüngeren filmischen Auseinandersetzungen mit der DDR ist „Nahschuss“ auch deshalb auffallend, weil er die schuldhafte Verstrickung des Protagonisten nicht aus dem Blick verliert. Franz Walters Bereitschaft zur Verschwörung und Manipulation, auch ohne größere Identifikation mit der sozialistischen Ideologie, machen ihn zur zwiespältigen Figur, was am Mitgefühl mit seinem Schicksal aber nichts ändert. Im Gegenteil: Gerade nach seiner Enttarnung gelingen dem Film seine intensivsten Szenen, wenn Walter Verhaftung, Folter und Schauprozess durchleidet.
Dabei führen die unnachgiebige Härte und Willkür des DDR-Justizsystems, bis hin zum Einsatz der Todesstrafe, in Franziska Stünkels Film nahtlos die zuvor gezeigte Menschenverachtung in den Geheimdienstumtrieben fort. Dass der Regisseurin damit eine ungewöhnlich umfassende und dabei sachliche Darstellung des ostdeutschen Regimes gelungen ist, hebt „Nahschuss“ als Kinofilm über die deutsche Historie auf einen hohen Rang. Und sendet ermutigende Signale des Geschichtsbewusstseins: Mögen die DDR-Zeit und ihre Verbrechen gesellschaftlich etwas aus dem Blick geraten sein, ist die künstlerische Beschäftigung mit ihnen noch längst nicht abgeschlossen.
AZ
P.S
AuszeichnungenIm Mai 2021 wurde Nahschuss in die Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis aufgenommen.[27] Von den Produzenten wurde Nahschuss für die Auswahl des deutschen Beitrags für die Oscarverleihung 2022 eingereicht.[28] Im Folgenden eine Auswahl weiterer Auszeichnungen und Nominierungen.
Chicago International Film Festival 2021
Nominierung im New Directors Competition[29]
Festival des deutschen Films 2021
Nominierung für den Filmkunstpreis
Nominierung für den Rheingold-Publikumspreis[30]
Filmfest München 2021
Nominierung im Wettbewerb Neues Deutsches Kino
Auszeichnung mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino (Franziska Stünkel)[31][32]
Auszeichnung mit dem One Future Preis des Filmfest München (Franziska Stünkel)[3