Tod eines Despoten
Diktator, paranoides Staatsoberhaupt und Revolutionär: Vor 70 Jahren endete die Schreckensherrschaft von Josef Stalin mit dessen Tod. Einer der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts baute in der Sowjetunion ein beispielloses Unterdrückungsregime auf und war für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich. Russlands Präsident Wladimir Putin sieht in ihm bis heute ein Vorbild.
Von Michael Ossenkopp und Torsten Kohlschein
Es ist der 5. März 1953 auf einer Datscha in Kunzewo – einer kleinen Ortschaft wenige Kilometer westlich von Moskau. Hier wird der 74-jährige Sowjetdiktator Josef Stalin für tot erklärt. Seinem Ableben ist ein mehrtägiger Todeskampf vorausgegangen.
Nach einem Abendessen und anschließenden ausgiebigen Trinkgelage mit engen Wegbegleitern am Abend des 28. Februar in seinem Landhaus zieht sich der körperlich vorgeschädigte Diktator gegen vier Uhr morgens in seine Gemächer zurück. Unter den Zechkumpanen befanden sich Nikita Chruschtschow, damaliger Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), Geheimdienstchef Lawrentij Berija und Topfunktionär Georgij Malenkow. Stalin leidet schon länger unter Arthritis, Arteriosklerose, Bluthochdruck und Schwindelanfällen. Als er gegen 12 Uhr mittags seine Räumlichkeiten immer noch nicht verlassen hat, machten sich seine Leibwächter langsam Sorgen.
Doch der gealterte Herrscher witterte überall Verrat. Er war selbst gegenüber seinem engsten Umfeld äußerst misstrauisch, seine Untergebenen lebten in ständiger Angst vor den Launen ihres Chefs. In diesem Klima des Schreckens konnte ein falscher Schritt der Angestellten den Tod bedeuten, so die Befürchtung. „Sie sind der Vorgesetzte, also gehen Sie.“ – „Ich habe Angst.“ – „Was meinen Sie, was ich bin? Ein Held?“ Die Wachleute Oberstleutnant Losgatschow und sein Befehlshaber Oberst Starostin diskutierten vor Stalins Zimmer, wer nach dem Chef sehen sollte. Erst gegen 23 Uhr musste schließlich der rangniedere Losgatschow dem Schreckensherrscher wichtige Briefe überbringen. Dabei fand er Stalin in Pyjamahose und Unterhemd auf dem Boden liegend in einer Urinlache. Er lebte noch, die Anwesenden konnten jedoch nicht erahnen, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte.
Sofort verständigte der Wachdienst den Führungsstab, der noch einen Tag zuvor mit Stalin gebechert hatte. Doch niemand fühlte sich verantwortlich. Anstatt sich um den sterbenden „Woschd“ (Führer) zu kümmern, begann bereits der Machtkampf um seine Nachfolge. Am frühen Morgen des 2. März wollten die Beteiligten dann doch endlich einen Arzt hinzuziehen. Das gestaltete sich als schwierig, denn in einer von Stalin angeordneten Säuberungsaktion waren ab Ende 1952 Tausende Mediziner interniert worden. Einige von ihnen wurden schwer gefoltert, besonders in den Kreisen von jüdischen Ärzten witterte der wahnsinnige Herrscher Komplotte. Schon zuvor traute Stalin in Gesundheitsfragen fast niemandem. Losgatschow erinnerte sich später: „Ein Offizier musste Medikamente in einer Dorfapotheke kaufen, wo niemand ahnen konnte, für wen sie bestimmt waren.“ Erst mehr als einen Tag nach Stalins Zusammenbruch traf ein Behandlungsteam ein, das eine „arterielle Gehirnblutung im halblinken Areal“ feststellte. Aber alle Bemühungen, ihn nun noch zu retten, erwiesen sich als vergeblich, Stalin starb drei Tage später, am 5. März 1953 um 21.50 Uhr Moskauer Zeit.