von pentium » 14. März 2023, 18:28
Der falsche Oscar zur Kriegsdebatte?
Die deutsche Netflix- Produktion „Im Westen nichts Neues“ ist mit vier Oscars der große Überraschungssieger der diesjährigen Academy Awards. Was sieht die Filmwelt in dem Streifen, der hierzulande so wenig Begeisterung hervorrief?
Von Tim Hofmann
Hollywood - Bester internationaler Film, Beste Kamera, Bestes Szenenbild und Beste Filmmusik: Gleich vier Oscars hat „Im Westen nichts Neues“ in der Nacht zum Montag abgeräumt und damit Kinogeschichte geschrieben. Der Streifen von Regisseur Edward Berger ist zwar der vierte deutsche Oscar-Film – doch er ist der erste, der mehrere bekam: „Das Leben der Anderen“ (2007), „Nirgendwo in Afrika“ (2001) und „Die Blechtrommel“ (1980) waren jeweils „nur“ als „Bester internationaler Film“ gekürt worden.
Bergers Neuinterpretation des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque war dabei sogar neun Mal nominiert – als erstes deutsches Werk sogar in der Kategorie „Bester Film“. Nun ist die Geschichte der „Oscars“ zwar reich an Irrungen – nicht wenige Kinoklassiker gingen beim wichtigsten Filmpreis der Welt leer aus, während mitunter seltsam blasse Zeiterscheinungen die goldene Statue bekamen. Doch so einfach lässt sich nicht abtun, warum „Im Westen nichts Neues“ weltweit gefeiert, von der deutschen Kritik aber zurückhaltend bewertet wurde – selbst, wenn man eine gewisse „Oscar-Vorsicht“ unterstellen kann: Immerhin wirkt der laute Jubel vor 16 Jahren um „Das Leben der Anderen“ heute zwiespältig; den holzgeschnitzten Stasi-Stereotypen-Streifen des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck kann man sich vor allem als Ex-DDR-Bürger kaum ein zweites Mal ansehen.
Nun ist zwar „Im Westen nichts Neues“ mit Sicherheit kein Film mit Klassikerpotenzial – vor allem im Vergleich mit anderen Anti-Kriegswerken der Kinogeschichte wie „Apocalypse Now“ (1979), „Full Metal Jacket“ (1987) oder „Der Soldat James Ryan“ (1998). Doch der Preis wird ja nicht aus deutscher Perspektive vergeben, sondern durch Amerikas Hollywood-Brille, und da hat er offensichtliche ein paar Punkte, die man hierzulande gelegentlich übersieht. Diese liegen sicher nicht im durchaus wackelige Hauptanliegen des Streifens, die Grausamkeit von Schlachtengewalt generell aufzeigen zu wollen: Weil Regisseur Berger das Problem, dass sich drastische Bilder schnell abgreifen, umschiffen will, gerät „Im Westen nichts Neues“ in ein ungut ambivalentes Fahrwasser und zeigt den Ersten Weltkrieg mit einer seltsam ruhigen, wenig tiefschürfenden Ästhetik konsumierbaren Terror-Schicks, dessen Bilder eher an Fantasy-Serien wie „Game Of Thrones“ erinnern. Die Oscars für die Beste Kamera und das Beste Szenenbild sind daher zwar handwerklich sehr nachvollziehbar, bewegen sich aber inhaltlich eher im kritischen Bereich, denn die eisigen Leichenfelder wirken im Drohnenüberflug oft eher wie Kunstinstallationen und lassen den Schrecken in die konsumierbare Abstraktion von Salongrusels verrutschen. Allein die wirklich subtil-großartige Filmmusik von Volker „Hauschka“ Bertelsmann ist in dem Zusammenhang ein Volltreffer, weil hier sehr gekonnt stetig schmirgelnd ungute Untertöne in eine sanfte Scheinharmonie eingeschliffen werden. Der Oscar für den Score ist der vielleicht richtigste!
Doch dann greift „Im Westen nichts Neues“ mit eher simplen Mitteln Themen auf, die sich stark in der aktuellen deutschen Debatte um den Ukraine-Krieg reiben und damit auf eine Komplexität zum Thema hinweisen, die hierzulande aktuell nicht recht verhandelt wird. Berger hat die Original-Handlung nämlich ziemlich aufgebohrt und neben den Folgen des Schlachtens für die einfachen Soldaten auch die übergeordnete politische Ebene geschärft. In seiner Neuverfilmung fällt daher das Ende dramatisch auf den Tag des Waffenstillstandes.
Eigentlich bezieht sich der Titel ja darauf, dass an dem Tag, an dem Hauptprotagonist Paul Bäumer kurz vor Kriegsende fällt, als so routiniert erscheint, dass „Im Westen nichts Neues“ die einzige Meldung von der Front ist. Hier dagegen stirbt Paul, absurd sinnlos verheizt, quasi mit Eintritt des Waffenstillstandes, den der deutsche Zentrumspolitiker Matthias Erzberger mit Frankreich ausverhandelt hat. Daniel Brühl trägt in dieser Rolle in seinen wenigen Szenen viel zur Einordnung in die Weltpolitik bei und verknüpft das Schicksal des „Kanonenfutters“ mit den großen Machtfragen. Dabei öffnet der Film dann Perspektiven, die in anderen Ländern offenbar gesehen werden und in denen vielleicht der Schlüssel dazu liegt, dass die Oscar-Würdigkeit so unterschiedlich beurteilt wurde, obwohl der Streifen sie so unstrittig aus dem historischen Kontext herausarbeitet. Erstens: Jeder Kriegstag mehr bedeutet sinnloses Sterben. Und zwar unabhängig davon, wer im Überbau die Schuld trägt. In den Gräben verblutet die Jugend beider Seiten, die zudem auch lebend komplett entseelt wird. Die Oberbefehlshaber sitzen dagegen selbst zum Ende noch mit Delikatessen am schick gedeckten Tisch.
Zweitens: Ohne schmerzhafte Unterwerfungen ist zwischen zwei verfeindeten Seiten keine Einigung zu erzielen – moralische Fragen helfen da wenig weiter. Und schließlich: Ein Frieden, den die unterlegene Seite hassen wird, kann nicht stabil sein. Nimmt man den Ausgang des Ersten Weltkriegs, den „Im Westen nichts Neues“ ja thematisiert, her, ist das, in die heutige Debatte getragen, ebenfalls eine schmerzhafte Wahrheit, die einem dieser Streifen vors Auge führt. Eine Aufgabe, die Kunst ja durchaus hat.
Freie Presse