von Merkur » 5. April 2024, 09:45
Ich stelle mal einen aktuellen Artikel aus ISOR-Aktuell zum Thema ein. Vielleicht ergibt sich ja daraus eine weitere Diskussion.
„Berliner Landgericht auf Delegitimierungskurs Wolfgang Schmidt
Großes hat sich das Berliner Landgericht mit einem am 14.03.24 eröffneten Prozess vorgenommen. We- gen seiner „zeitgeschichtlichen Bedeutung“ wird der Prozess sogar ausnahmsweise per Tonaufnah- me dokumentiert. Nach dem Fiasko bei der straf- rechtlichen Abrechnung mit dem MfS (Ca. 30.000 Ermittlungsverfahren gegen MfS-Mitarbeiter führ- ten nach unseren Kenntnissen lediglich zu zwei Verurteilungen mit Haftstrafen, keine wegen eines Tötungsdeliktes oder Folter) soll nun endlich be- wiesen werden, dass das MfS eine Mördertruppe war.
Angeklagt ist der heute 80-jährige ehem. MfS-Mit- arbeiter Manfred N., der vor etwa 50 Jahren in der Grenzübergangsstelle Berlin-Friedrichsstraße den polnischen Bürger Kukuczas aus einem Hinterhalt heraus (heimtückisch!) erschossen haben soll, wel- cher nichts anderes im Sinn hatte, als in Freiheit leben zu wollen.
Der Prozess hatte noch nicht einmal begonnen, als der Angeklagte durch Anklagevertreter und Me- dien bereits als Mörder – und um die Emotionali- sierung noch einmal zu steigern – auch als Henker vorverurteilt wurde.
Was war geschehen? Der Sicherheitsoffizier der polnischen Botschaft hatte sich 1974 an die Ab- teilung Internationale Verbindungen des MfS gewandt und um Hilfe gebeten. Ein polnischer Staatsbürger drohe in der Botschaft sich und die Botschaftsräume mit einem in einer Tasche mit- geführten Sprengkörper in die Luft zu sprengen, sollte ihm nicht die Ausreise in die BRD über die Grenzübergangsstelle Friedrichstr. ermöglicht wer- den. Der Stellvertretende Minister Bruno Beater setzte daraufhin Mitarbeiter der für die Grenzüber- gangsstelle Friedrichstr. zuständigen Hauptabtei- lung VI in Marsch mit dem Auftrag, den polnischen Bürger aus der polnischen Botschaft zu entfernen und anschließend auf dem Territorium der DDR „unschädlich“ zu machen.
Es gelang den MfS-Mitarbeitern, Kukuczas unter Vorspiegelung einer möglichen Ausreise in die BRD aus der polnischen Botschaft zu lotsen. Die Abfertigung am Bahnhof Friedrichstraße wurde unterbrochen und K. an den dort Wartenden und den Grenzschleusen vorbei in den Bahnhof gelas- sen, wo er überwältigt werden sollte. Er soll dort bereits von dem hinter einer Sichtblende verbor- genen Angeklagten erwartet worden sein. Als K. eine Pistole gezogen habe (um dieses Detail wird im Prozess noch gestritten), sei er vom Angeklagten niedergeschossen worden. K. ist Stunden später im Haftkrankenhaus Hohenschönhausen seinen Ver- letzungen erlegen. Der vermeintliche Sprengsatz erwies sich als Attrappe, die Pistole wurde sichergestellt.
Ein im Prozess aussagender Beamter des Landes- kriminalamtes Berlin, der möglicherweise schon seit 2016 an diesem Fall arbeitet, dazu aber vermutlich keine eigenen Ermittlungen angestellt sondern nur MfS-Akten gefleddert hat, legte einen Minister- befehl vor, mit dem mehrere Angehörige der HA VI wegen Verhinderung eines terroristischen An- schlages ausgezeichnet wurden, darunter der An- geklagte mit dem Kampforden der DDR in Bronze. Ansonsten stand Herr S. vom LKA aber, wie die „junge Welt“ am 15.03. berichtete, auffallend schlecht im Stoff. In der „junge Welt“ nachzulesen ist: „Die Verteidigerin von N. fragte S., ob er die Beschreibungen des mutmaßlichen Schützen in den Akten mit dem Erscheinungsbild von N. abgeglichen habe. Das war nicht der Fall. Eine gründliche Prüfung der Plausibilität der Zeugenaussagen hat er nicht vorgenommen. Er wusste auch auf Nach- frage nicht sicher, ob Kukuczka seine Bombendro- hung in der polnischen Botschaft ausgesprochen hatte – oder nicht doch in einem »Ministerium«, wie er zunächst aussagte. Bei einem an die Wand projizierten Dokument, das die Auszeichnung mehrerer mit dem Fall befasster MfS-Mitarbeiter belegt, konnte er das für den Fall elementare Kürzel »HA VI« (die für Passkontrolle und Fahndung zuständige Hauptabteilung VI des MfS) nicht entschlüsseln. Dass er auch die Frage der Verteidige- rin verneinen musste, ob er denn ermittelt habe, welche Funktion der Angeklagte im MfS am Tattag eigentlich hatte, überraschte schon nicht mehr. Er hat auch den mutmaßlichen Tatort nicht aufgesucht.
Fundierter fiel am Nachmittag die Aussage einer 65jährigen Frau aus Bebra aus. Sie wollte am 29. März 1974 als 15jährige nach einem mehrstündigen Ausflug nach Ostberlin mit ihrer Schulklasse nach Westberlin ausreisen und hielt sich im Bereich der Passkontrolle auf, als Kukuczka mit seiner Tasche an ihr vorbeilief und, so schildert sie es, am Ein- gang der Unterführung zu den Bahnsteigen nieder- geschossen wurde. Den mutmaßlichen Schützen beschrieb sie am Donnerstag als großgewachsen und schlank. Als die Verteidigerin des Angeklagten ihr vorhielt, dass sie den Schützen im April 1974 als »korpulent« und mittelgroß beschrieben und des- sen Alter auf 45 Jahre geschätzt hatte, schwieg sie einige Zeit.
Das Gericht und die „Qualitätsmedien“ verdrängen hartnäckig die Tatsache, dass die Maßnahmen des MfS der Beseitigung einer terroristischen Gefahr gedient haben und kommen schon gar nicht auf die Idee, dass die Sicherheitsorgane der DDR zur Beseitigung solcher Gefahren nicht nur ermächtigt, sondern sogar verpflichtet waren. Eine Ausrei- se des K. hätte bedeutet, dass sein Beispiel Schule macht und Nachahmer findet. Alt-Bundeskanzler Schmidt hat sein okay für den Anti-Terroreinsatz in Mogadischu 1977, bei dem eine Flugzeugent- führung beendet und drei von vier Geiselnehmern erschossen wurden (aus einem Hinterhalt?) mit analogen Argumenten begründet. Es gehört schon eine gehörige Portion an ideologischer Verblen- dung dazu, eine ernsthafte Bombendrohung nicht als terroristische Gefahr wahrzunehmen, sondern unter der Rubrik des Kampfes für Menschenrechte einzuordnen.
Am 04.03.24 wurde eine 65-jährige Frau von Spe- zialkräften der Polizei niedergeschossen und da- bei schwer verletzt. Sie hatte sich in einem Raum einer Aachener Klinik verschanzt, einen auffallend breiten Gürtel getragen, der als Sprengstoffgürtel angesehen wurde und einen „Gegenstand“ auf die Einsatzkräfte gerichtet. Strafrechtliche Konsequen- zen haben die Einsatzkräfte, die damit eine Gefah- renlage geklärt haben, nicht zu befürchten, wohl eher Belobigungen und Beförderungen für ihr entschlossenes Handeln. Das gilt auch fast immer für jene Polizisten, die von 1952 bis 2019 lt. Wikipedia in mindestens 530 Fällen Personen bei Einsätzen mittels Schusswaffen getötet haben. Wenn in sel- tensten Ausnahmefällen ermittelt oder gar Ankla- ge erhoben wurde, folgten mit Sicherheit nur milde Strafen. Auf Mordmerkmale wurde vermutlich niemals geprüft.
Umso härter wird gegen Sicherheitskräfte des einstigen Feindstaates DDR geurteilt. Grenzsoldaten, ihre militärischen Vorgesetzten und Mitglieder des SED-Politbüros wurden ohne gesetzliche Grundlage und in Missachtung des Rückwirkungsverbotes nach „Naturrecht“ als Totschläger verurteilt. Jetzt muss es schon Mord sein, da sonst alles verjährt ist. Unsere Solidarität gilt Manfred N. der sich in den Klauen einer furchtbaren Justiz befindet, die sich wahrscheinlich noch immer dem einstigen Auftrag von Ex-Justiz-Minister Kinkel verpflichtet fühlt, dass es der deutschen Richterschaft gelingen müsse, die DDR zu delegitimieren.
Der Prozess wird am 4. April fortgesetzt und frühes- tens im Mai 2024 ist ein Urteil zu erwarten.
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.