Im Oktober 2010 wurde ein Mann ertrunken im Schwarzwasser bei Lauter gefunden. Die Umstände seines Todes geben den Ermittlern bis heute Rätsel auf. Eine neue Spur führt in die Schatzsucherszene, zu Männern, die vergrabenen Geheimnissen aus dem Zweiten Weltkrieg nachjagen. Ein Cold Case aus dem Erzgebirge.
Von Mario Ulbrich
Schwarzenberg - Es spricht einiges dafür, dass diese Geschichte vor einem halben Jahrhundert begann, mit einem Brand in der Altstadt von Schwarzenberg, der längst in Vergessenheit geraten ist. Es ist die Geschichte dreier Brüder, die auf ein Geheimnis stießen. Eine Geschichte, die kein gutes Ende nahm. Manche Zutaten könnten aus einem Groschenkrimi stammen, doch so viel ist sicher: Heute sind alle drei Männer tot und hinter jedem Todesfall stehen Fragezeichen. Der letzte Fall war der erschreckendste von allen.
Am Mittwoch, dem 20. Oktober 2010, trieb der leblose Körper eines 53-jährigen Mannes im Betriebsgraben einer Wasserkraftanlage am Bahnhof von Lauter (Erzgebirge). Sein Auftauchen mutete so mysteriös an wie vieles, was noch folgen sollte. Der Elektriker Ronny Weiß führte an jenem Morgen zusammen mit einem Kollegen Wartungsarbeiten am Turbinenhaus aus. Beide Männer hatten nichts Ungewöhnliches bemerkt, als sie am Graben entlanggingen. Bis ihnen um 8.05 Uhr ein nasser Wollpullover entgegenschwamm, den sie zunächst für einen alten Teppich hielten.
Es war der Tote, ein fast nackter Mann, nur noch mit seinem Oberteil und Socken bekleidet. Bei der Obduktion wurde später festgestellt, dass er 24 Stunden zuvor ertrunken war. Wo kam er auf einmal her?
Ronny Weiß hat eine Theorie. „Wir haben die Hydraulik des Rechens neu programmiert. Dafür war es nötig, mehrfach den Notstopp der Turbine auszulösen.“ Dabei entsteht ein Rückstau, der eine Welle erzeugt. „Wir haben das einige Male wiederholt. Vielleicht war der Leichnam auf den Grund des Grabens gesunken und die Wellenstöße haben ihn wieder nach oben geholt.“ Die beiden Elektriker riefen die Polizei.
Die Identität des Toten wurde rasch geklärt: Peter V. aus Schwarzenberg, der fünf Kilometer entfernt lebte, wo er im Stadtbild kein Unbekannter war. Stets hatte er einen Kaufland-Einkaufsbeutel dabei und stützte sich auf einen Wanderstock, weil er nach einem Unfall zwei Jahrzehnte zuvor hinkte.
Nur: Wo waren sein Beutel und der Stock? Sie wurden nie gefunden. Ebenso wenig V.s graue Windjacke, seine Jeans, die Unterwäsche und Schuhe. Zeugen erinnern sich, dass die Polizei tagelang an beiden Ufern des Schwarzwassers nach der Kleidung suchte, mit Beamten, Hunden und einem Hubschrauber, der in trägem Tiefflug dem Flusslauf folgte.
Auch die Umstände des Todes von Peter V. blieben rätselhaft. „Trotz umfangreicher Ermittlungen konnte nicht geklärt werden, ob es Eigenverschulden oder Fremdverschulden war“, sagt die Chemnitzer Oberstaatsanwältin Ingrid Burghart. Unfall, Suizid, ein Tötungsdelikt – alles kommt in Betracht. Nur eine der drei Theorien scheint das spurlose Verschwinden der Sachen von Peter V. zu erklären. Trotzdem wurde das Verfahren zehn Monate nach dem Leichenfund eingestellt. Niemand, den die Polizei befragt hatte, lieferte eine Spur, die eine Straftat nahelegte. Heute ist der Fall Peter V. ein Cold Case – eine Ermittlung, die ruht.
Barbara Rech (56) aus Zschorlau hadert mit sich, weil sie damals nicht zur Polizei gegangen ist, um ihre Geschichte zu erzählen. „Meine Mutter sagte, melde dich, aber meine Freundin riet mir ab. Man könne nicht wissen, wer dort arbeite. Da hab ich es gelassen“, erzählt sie. Was könnte so heikel sein, dass man seinetwegen der Polizei misstraut?
Ein Nazi-Schatz.
Peter V. sei ein Schatzsucher gewesen, sagt Barbara Rech. Einer jener Männer, die glauben, dass im Erzgebirge am Ende des Zweiten Weltkrieges Kunstschätze und brisantes Forschungsmaterial versteckt worden sind. Im Poppenwald oder in Deutschneudorf. In bis heute unentdeckten Stollen und Erddepots. „Peter war immer auf der Suche“, berichtet sie. „Er wollte das Bernsteinzimmer finden.“ Sollte ihn das am Ende umgebracht haben? Sie zuckt mit den Schultern. „Man kann da viel hineininterpretieren. Aber der Gedanke verfolgt mich seit Jahren.“
Rech und ihr Ex-Ehemann waren mit Peter V. und seinen Brüdern Rainer und Uwe befreundet, und als Rainer, der Älteste, Mitte der 1980er-Jahre plötzlich ins Gefängnis musste, waren sie schockiert. Zwei Jahre wegen illegalen Waffenbesitzes! Rainer V. soll mit einer Pistole im Wald herumgeballert haben. Wo bekam man in der restriktiven DDR eine Waffe her? „Später verrieten sie uns ihr Geheimnis“, sagt Rech.
Und das ist die Geschichte, die sie zu hören bekam: Die Familie V. lebte in der Schwarzenberger Altstadt. Nach einem Brand im Hinterhaus ihres Wohngebäudes stießen die Brüder bei Aufräumarbeiten auf ein Versteck, das den Flammen entgangen war. Darin fanden sie, in Ölpapier eingewickelt, die Pistole. Außerdem eine Landkarte und mehrere Keramikflaschen Wein. „Eine davon hat Peter uns geschenkt“, erzählt Barbara Rech. „Die Karte habe ich nie gesehen. Laut Peter waren darauf Stollen markiert, die sich an Flüssen befanden.“ Das sei zu seiner Obsession geworden: Stollen am Wasser.
Die Brüder hätten damals immer wieder vom Bernsteinzimmer gesprochen, sagt Rech. Es war die Zeit, als der Stasi-Oberstleutnant Paul Enke mit seinem „Bernsteinzimmer-Report“ die Öffentlichkeit an der Jagd nach dem verschollenen Weltwunder beteiligte. „Ich habe mir das Buch gekauft, um zu erfahren, wovon die eigentlich reden.“ In ihrem Regal steht heute ein seltenes Exemplar aus der ersten Auflage von 1986.
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