Essay - Krise der westlichen WeltLehren aus Russland
Die liberale Ordnung könnte sich genauso schnell auflösen wie einst die UdSSR. Triumphiert dann ein xenophober Populismus?Seit Putin die Parlamentswahl von 2011 fälschte und die aufkommende Protestbewegung unterdrückt wurde, haben sich deren junge Anhänger in ein trotziges Schweigen zurückgezogen. Russischen Intellektuellen ist eine solche Situation durchaus vertraut. Lenin wurde 1887 in Kasan festgenommen, weil er eine Studentendemonstration angeführt hatte. Er verbrachte die folgenden dreißig Jahre im Exil oder im Untergrund. Danach unterdrückten die Bolschewiki siebzig Jahre lang die Meinungsfreiheit und jede politische Opposition. Heute geben Russlands kapitalistische Oligarchen ihr Bestes, um die Repression fortzusetzen.
Warum halten russische Künstler, Philosophen und Journalisten trotz dieser schlechten Erfahrungen daran fest, dass sich die Dinge ändern können? Die kurze Antwort lautet: Weil sie den moralischen und politischen Kollaps der doch angeblich unsterblichen Sowjetunion erlebt haben.Vergleichbarer Kollaps vorstellbarSeit Trumps Wahlsieg im November 2016 ist es vorstellbar geworden, dass dem Westen, der Globalisierung und unseren Freiheitswerten ein vergleichbarer Kollaps widerfährt.
Die Parallelen sind offensichtlich. Wir leben seit dreißig Jahren in einem Wirtschaftssystem, das sich für alternativlos hielt. Die Globalisierung galt als unaufhaltsamer natürlicher Prozess, die freie Marktwirtschaft schlicht als die vorgegebene Normalität.
Aber wenn das Land, das die Regeln der Globalisierung festlegte, sie durchsetzte und von ihr am meisten profitierte, sich in einer Wahl gegen sie entscheidet, muss man sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass sie gestoppt wird, womöglich gar abrupt. Falls dem so ist, muss man sich gar mit einer noch schockierenderen – zumindest für liberale, humanistische Demokraten – Möglichkeit auseinandersetzen: dass Wirtschaftsversagen zwangsläufig in oligarchischen Nationalismus mündet. Nun finden wir überall auf der Welt Mini-Putins: den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdo ğ an und die französische Möchtegern-Präsidentin Marine Le Pen. Falls sich deren Wunsch erfüllt, und der Westen in ökonomischen Nationalismus zurückfällt, werden alle unter fünfzig den gleichen ideologischen Schock erleben wie die Russen Ende der Achtziger.
Es gibt allerdings einen gewichtigen Unterschied: Die Dissidenten der späten Sowjetzeit kämpften für Demokratie und Menschenrechte, wie sie allgemein „im Westen“ verstanden wurden. Sollte aber der xenophobische Populismus triumphieren, wird es für uns keinen „Westen“ als Vorbild geben. Sobald liberale demokratische Gesellschaften mehr und mehr wie Orbáns Ungarn aussehen, gibt es keine äußere Macht mehr, die uns helfen kann.
Unsere letzte große Hoffnung sind wir selbst. Und wir sind zahlreich genug, um den zweiten großen Kollaps und die Hinwendung zu Oligarchismus und Nationalismus zu stoppen. Wir sind vernetzt, bewusst, gut ausgebildet und – bislang – psychologisch widerstandsfähig. http://www.taz.de/Essay-Krise-der-westl ... /!5363723/Das wir selbst in unserem Land den rechtsorientierten Nationalismus und Populismus stoppen werden, wie auch die Menschen in anderen Ländern, davon bin ich als positiv denkender Mensch überzeugt.