Bei der Niederschlagung des Prager Frühlings wurden zwei tschechische TV-Techniker auf dem höchsten Gipfel des Erzgebirges zu Helden.
Bozi Dar/Gottesgab.
Sie kamen in der Nacht aus der DDR, das sächsische Erzgebirge gehörte zu ihrem Aufmarschgebiet: Am 21. August 1968 fielen Truppen des Warschauer Pakts unter Führung der Sowjetunion in die Tschechoslowakei ein. Der Prager Frühling, der „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ unter Alexander Dubček, wurde auf Befehl aus Moskau brutal niedergeschlagen. Es war vorbei mit Demokratisierung, Pluralismus, Meinungs- und Reisefreiheit - ein weltgeschichtliches Ereignis, das den Tschechen noch einmal über 20 Jahre kommunistische Diktatur brachte und das noch heute tief in ihrem kollektiven Bewusstsein verankert ist.
Auf dem höchsten Berg des Erzgebirges stellten sich damals zwei mutige Techniker den sowjetischen Okkupanten entgegen. Es ist eine Heldengeschichte, die selbst in Tschechien bislang weitgehend unbekannt war: Petr Kovář und Miloš Vyhnal sorgten 1968 dafür, dass die Menschen in der Tschechoslowakei die Wahrheit über den russischen Einmarsch erfuhren. Der Fernsehturm auf dem 1244 Meter hohen Klínovec spielte dabei eine entscheidende Rolle. Jetzt soll er zum europäischen Kulturerbe werden.
„Ich war allein gegen die überlegenen russischen Soldaten“
Der 56 Meter hohe Betonturm wurde 1967 errichtet. Er überträgt bis heute Radio- und Fernsehsignale für die tschechischen Regionen Karlsbad und Ústí and Labem. Als in der Nacht zum 21. August 1968 ein Kommando der sowjetischen Armee das Gipfelplateau des Klínovec besetzte, hatte Petr Kovář Dienst im Fernsehturm. „Ich war allein gegen die überlegenen russischen Soldaten, die drohten, aus geladenen Maschinengewehren zu schießen“, erinnerte er sich in einem Gespräch mit dem Nachrichtenportal Českotřebovský deník in seiner Heimatstadt Česká Třebová zum 50. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings. Der russische Kommandeur, so Kovář, habe nur eines verlangt: „Schalten Sie sofort den Sender ab!“ Das tschechoslowakische Fernsehen, das damals noch unzensiert berichtete, sollte verstummen.
Der diensthabende Sendetechniker weigerte sich zunächst, verlangte eine schriftliche Anweisung. Als die schließlich kam, ging er zum Schein auf die Forderungen ein. Er legte den Sender im Fernsehturm still. Es gab aber einen zweiten intakten Reservesender im Keilberg-Hotel, das damals als Erholungsheim der tschechoslowakischen Armee diente. Schon seit 1957 waren dort Funker der Svazarm tätig, einer paramilitärischen Organisation ähnlich der GST in der DDR. Damals wurde am Hotel bereits ein erster Sendemast errichtet.
Zimmer 104 im Keilberg-Hotel wurde zur geheimen Sendezentrale
Das Hotelzimmer 104, so berichtete Petr Kovář, wurde zur geheimen Sendezentrale. Vier Tage gelang es ihm und seinem Kollegen Vyhnal, den Sendebetrieb des tschechoslowakischen Fernsehens über den Klínovec aufrecht zu erhalten. Dann stürmten die Russen bei einer Razzia das Hotelzimmer und zerstörten mit MP-Schüssen die gesamten Sendeanlagen. „Dank des Hotelpersonals konnten wir uns in privaten Räumen für das Hotelpersonal verstecken“, erzählte Kovář dem Českotřebovský deník. Später flüchteten die beiden nach Jáchymov (Sankt Joachimsthal), wo sie von Einheimischen mehrere Tage lang beherbergt und versorgt wurden. „Sie hielten uns für Helden“, erinnerte sich der Sendetechniker, der später noch sein gesamtes Berufsleben auf dem Dach des Erzgebirges verbrachte.
Der Fernsehturm auf dem Klínovec soll jetzt das Europäische Kulturerbe-Siegel (European Heritage Label) bekommen. Dafür setzt sich die zeitgeschichtliche tschechische Vereinigung Post Bellum in einem Projekt mit dem Ministerium für Regionalentwicklung in Prag ein. Ziel sei es, Schlüsselorte der tschechischen Geschichte beim Kampf um Meinungsfreiheit bekannter zu machen und so auch dazu beizutragen, den Tourismus in den betreffenden Regionen zu fördern. In Boží Dar (Gottesgab) fand dazu bereits ein runder Tisch mit Anwohnern und Zeitzeugen statt. Für Bürgermeister Jan Horník ist die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte wichtig, auch um die Gegenwart zu verstehen, wie er der „Freien Presse“ mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sagte. „Es sollte eine Warnung für die heutigen Generationen sein.“
Das Kulturerbe-Siegel ist eine Auszeichnung für Kulturdenkmale, Kulturlandschaften oder Gedenkstätten, die auf europäischer Ebene als bedeutend erachtet werden. In Deutschland gehören dazu unter anderem die Gedenkstätte Berliner Mauer und die Nikolaikirche in Leipzig. Der Fernsehturm auf dem Keilberg ist in Privatbesitz und derzeit nicht öffentlich zugänglich.
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