Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 18. Juli 2020, 11:38

augenzeuge hat geschrieben:Ich dachte, ihr seid besser versorgt worden. Bei Steffen52 muss es angeblich anders gewesen sein.

AZ

So wie mir später erzählt wurde, ist es Jahr für Jahr schlechter geworden mit Südfrüchten für die Grenztruppen. Später soll es überhaupt keine Bananen mehr in den Postenbeutel gegeben haben.
Zu meiner Zeit ist es halt noch so gewesen. [denken]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 18. Juli 2020, 11:48

Die Postenverpflegung (bei uns hieß sie nicht mehr Postenbeutel) ließ sehr stark zu wünschen übrig. Allerdings hing das stark von der Kreativität und dem Engagement des Küchenchefs ab. Ich äußere mich in Kürze hier dazu.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 18. Juli 2020, 20:05

Grenzertagebuch 9

Auf der Spitze des Seelesberges halten wir erneut und erhalten eine Einweisung quasi aus der Vogelsperspektive. Weithin sichtbar thront in relativ geringer Entfernung der Rockenstuhl. Es ist ein Berg, der von nahezu jedem Punkt der Abschnitte 5 bis 7 sichtbar ist und somit gerade jungen Grenzern die Orientierung erleichtert.

Im Jahre 1994 wird mir ein Buch in die Hände fallen ("Das Geheimnis des Rockensteins"), das von einem ehemaligen Grenzoffizier (Karl Wurzberger) geschrieben wurde und das ich förmlich verschlingen werde, weil es auf unterhaltsam-spannende Weise den Grenzeralltag vor bzw. um den Mauerbau 1961 aufgreift und viele Erinnerungen und reale Örtlichkeiten dieses Bataillonsabschnittes auch in mir wach werden lässt.
Bis dahin ists jedoch noch verdammt lang hin, denn ich habe ja noch nicht einmal richtig hier gedient.

Mit dem niedrigsten aller Gänge beginnt die Abfahrt vom Seelesberg. Rechts von uns aus gesehen, in Kürze werde ich mich an die grenzspezifischen Termini halten und die Begriffe "feind- und freundwärts" verwenden, befinden sich Felder der hessischen Bauern.
Ich denke an meinen Geschichtslehrer Herrn Dober und den Geschichtsunterricht zu Bodenreform und Kollektivierung der Landwirtschaft und bedaure die armen Westbauern, dass sie sich noch nicht zur LPG zusammen schließen konnten und wie eh und je ihre Felder allein bewirtschaften müssen.

Am Fuße des Seelesberges handelt oft ein Grenzposten, wie ich eben erfahre und in reichlich einem Jahr werde ich bei einer nächtlichen Kontrollstreife hier einem meiner Soldaten das CORA (Postenradio, sehr klein und ideal zum Verstecken) einkassieren. Allerdings weiß ich das jetzt noch nicht, sodass ich mich auch noch nicht schadenfroh freuen kann.

Im Abschnitt sehe ich aus der Ferne einen Beobachtungsturm und schon von weitem erkenne ich, dass er besetzt ist. Der Fähnrich erklärt uns, dass dies die Führungsstelle des SiA 7 ist.
Führungsstelle, frage ich? Das ist doch nur ein B-Turm!?
Er erklärt uns, dass die neue Führungsstelle gerade im Bau ist und in Kürze eingeweiht werden wird.

Noch ahne ich nicht, dass ich in wenigen Tagen auf eben dieser behelfsmäßigen Führungsstelle meine erste Frühschicht mit einem extrem übergewichtigen und somit sehr lauffaulen Uffz. im 5. DHJ erleben werde, der nicht nur aus allen Poren sondern auch extrem aus dem Mund ausdünsten wird und aufgrund der Enge in der Kanzel von meiner Nase und meiner Toleranz in bezug auf Hygiene alles abfordern wird.
Da ich dies aber noch nicht weiß, muss ich mir im August 1982 auch darüber noch keine Gedanken machen.

Der Abschnitt scheint recht übersichtlich zu sein im Gegensatz zum eben erlebten SiA 6, denn hier kann man tatsächlich weit schauen und wird nicht durch Wald daran gehindert.
Wir passieren nunmehr die Ulster und halten auf der Brücke. Es ist ein Fluss von ca. 5 m Breite und der einzig nennenswerte Wasserdurchlauf im Bereich des 2. Bat. und bei Hochwasser wirds nur besonders bestätigte Postenpaare geben, die hier eingesetzt werden, denn bei geöffnetem Gitter wirkt das vor uns feindwärts liegende Günthers wie eine Einladung zum Kurz- oder auch Langzeitbesuch beim Klassenfeind.

Der nächste Stopp erfolgt am PoP 100. Er markiert exakt die Stelle, an der die ehemalige Verbindungsstraße zwischen Motzlar und Günthers jäh endet, weil 1945 amerikanische und sowjetische Kommissionsmitglieder eben einfach mal so gesagt haben, dass hier der eine Einflussbereich endet und der andere beginnt.

Wir blicken auf das vordere Sperrelement. Hier steht noch die alte Minensperre MS-66, die jedoch in den folgenden 2 Jahren abgebaut und gegen den bereits in weiten Teilen dieses SiA vorhandenen Grenzzaun 1 ausgetauscht wird.
Unsere Führer erklären uns, dass hier oft westliche Reisegruppen vorfahren und eine Einweisung erhalten. Deshalb gibts hier auch einen ständig präsenten Posten, der in einem sehr geringen Bereich handelt, um möglichst viel an die Füst melden zu können, was auf westlicher Seite passiert.

Der vor uns liegende Berg, der berüchtigte Grenzkopf, den ich in Kürze bereits verfluchen werde, weil er so gnadenlos steil und endlos ist, wird von unserem LO und dem Fahrer wieder alles abfordern ...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 18. Juli 2020, 20:20

OaZ hat geschrieben:Die Postenverpflegung (bei uns hieß sie nicht mehr Postenbeutel) ließ sehr stark zu wünschen übrig. Allerdings hing das stark von der Kreativität und dem Engagement des Küchenchefs ab. Ich äußere mich in Kürze hier dazu.

Okay ,OaZ würde mich mal interessieren was zu Deiner Zeit im Postenbeutel( Postenverpflegung) so noch gab, also wie ich schon schrieb gab es zu meiner Zeit regelmäßig z.B. Bananen. Habe sie, die Bananen, ja selbst immer
ausgeliefert in den ganzen GK des GR3 . Da ich immer mal eine Kiste Bananen( in der Bananenreiferei) extra mit aufgeladen bekam, war das natürlich für mich eine super Währung, womit sich für mich viele Dinge zu meiner Armeezeit im GR3 sehr
erleichterten. Darüber könnte ich auch einen Buch schreiben.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 18. Juli 2020, 20:27

steffen52 hat geschrieben:... Da ich immer mal eine Kiste Bananen( in der Bananenreiferei) extra mit aufgeladen bekam, war das natürlich für mich eine super Währung, womit sich für mich viele Dinge zu meiner Armeezeit im GR3 sehr erleichterten. Darüber könnte ich auch einen Buch schreiben.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 18. Juli 2020, 20:33

steffen52 hat geschrieben:Okay ,OaZ würde mich mal interessieren was zu Deiner Zeit im Postenbeutel( Postenverpflegung) so noch gab, also wie ich schon schrieb gab es zu meiner Zeit regelmäßig z.B. Bananen. ...


Schnitten mit Panzerfett (umgangssprachliche Bezeichnung für DDR-Mettwurst, die heute Teewurst heißt - vermutlich, weil sie soviel Tee enthält wie bayrischer Leberkäse Leber-) oder auch mit Paprikapastete. Die gab es wirklich täglich (Frühstück & Abendbrot und sehr oft in der PV) und hing mir schon nach wenigen Tagen zum Hals raus. Noch heute lasse ich Paprikapastete links liegen! Obst und Gemüse? Fehlanzeige! Potenzmindernden Tee, der wie Arsch und Friedrich geschmeckt hat und oft noch vor dem Grenzdienst weggegossen wurde und mit eigenem Tee und Kaffee befüllt wurde (die Thermosflaschen).
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Zicke » 18. Juli 2020, 20:42

Steffen meint diese sogenannten Durchhaltebeutel,
diese gab es 14 tägig, ich glaub immer Freitags, gefüllt mit einer Banane, Apfelsine, Pittiplatzschtafel und oder Kekse.
Bild
Menschen, die keinen Arsch in der Hose haben, müssen nicht zwangsläufig schlank sein.

Meine Rechtschreibfehler könnt Ihr Samstags ab 17 Uhr bei Rewe gegen eine lecker Senfgurke tauschen.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 18. Juli 2020, 20:45

OaZ hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:... Da ich immer mal eine Kiste Bananen( in der Bananenreiferei) extra mit aufgeladen bekam, war das natürlich für mich eine super Währung, womit sich für mich viele Dinge zu meiner Armeezeit im GR3 sehr erleichterten. Darüber könnte ich auch einen Buch schreiben.
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Mit Verkauf hatte das nichts zutun, sondern um sie einfach zu verschenken an gewisse Vorgesetzte. Welchen Vorteil es für mich brachte, das kannst Du Dir ja denken. [wink]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 18. Juli 2020, 20:51

Ich meinte den Verkaufserfolg deines angedachten Buches über deinen regen Bananenhandel.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 18. Juli 2020, 20:52

Zicke hat geschrieben:Steffen meint diese sogenannten Durchhaltebeutel,
diese gab es 14 tägig, ich glaub immer Freitags, gefüllt mit einer Banane, Apfelsine, Pittiplatzschtafel und oder Kekse.
Bild

Genau so ist es gewesen, Jörg(Zicke)! Hast ja auch so um meiner Zeit gedient und kennst das noch. Später hat man damit auch mehr als gespart, so wie ich es von OaZ gelesen habe. [frown]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 18. Juli 2020, 20:54

OaZ hat geschrieben:Ich meinte den Verkaufserfolg deines angedachten Buches über deinen regen Bananenhandel.

Ach so! Alles klaro. [hallo]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon augenzeuge » 18. Juli 2020, 21:05

OaZ hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:... Da ich immer mal eine Kiste Bananen( in der Bananenreiferei) extra mit aufgeladen bekam, war das natürlich für mich eine super Währung, womit sich für mich viele Dinge zu meiner Armeezeit im GR3 sehr erleichterten. Darüber könnte ich auch einen Buch schreiben.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon pentium » 18. Juli 2020, 21:09

augenzeuge hat geschrieben:
OaZ hat geschrieben:
steffen52 hat geschrieben:... Da ich immer mal eine Kiste Bananen( in der Bananenreiferei) extra mit aufgeladen bekam, war das natürlich für mich eine super Währung, womit sich für mich viele Dinge zu meiner Armeezeit im GR3 sehr erleichterten. Darüber könnte ich auch einen Buch schreiben.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Ernest » 18. Juli 2020, 23:07

Zicke und steffen52 haben schon recht. Zu meiner Zeit in Döhren ( 1972/73 ) bekamen wir diese Postenbeutel auch. Und sie waren auch so gefüllt, wie sie schrieben.
Banane, Apfelsine oder im Austausch ( wahrscheinlich je nach Jahreszeit oder Verfügbarkeit) auch mal ein Apfel. Dann diese kleine Schokotafel und eben mal Kekse oder Waffeln.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Olaf Sch. » 19. Juli 2020, 06:54

natürlich gab es diese Durchhaltebeutel! Ich könnte heute aber nicht sagen, ob 1 mal im Monat, oder alle 14 Tage...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 7. August 2020, 00:28

Grenzertagebuch 10


Auf der freundwärtigen Seite sehe ich saftige grüne Wiesen, die sich aus meiner Perspektive endlos ins eigene Hinterland ziehen. Sie sind eingezäunt und sicher grasen hier sonst Kühe. Momentan allerdings sind keine zu sehen.

Der Sicherungsabschnitt, d.h. der Streifen zwischen Grenzsignalzaun und vorderem Sperrelement ist hier sehr breit, es sind wohl um die 400-500 Meter.
Zum ersten Mal in der Realität sehe ich Laufanlagen mit Wachhunden, die ich in Kürze angepasst auch "Trassis" nennen werde, weil sie angeleint innerhalb eines bestimmten Bereiches zur Abschreckung für Grenzverletzer dienen sollen.

In der westlichen Berichterstattung und auch im Volksmund nennt man sie "Bluthunde". Das letzte Blut, was diese teilweise bedauernswerten Kreaturen bekommen haben, war das aus der Blutwurst der Postenverpflegung, das ihnen mitfühlende Grenzer hingeworfen haben.

Ich sehe einige Hunde mit dem Schwanz wedeln und weiß auch als Nichthundebesitzer, dass dies ein Ausdruck von Freude ist. Die Hunde freuen sich, weil sie Menschen sehen ...
Wenn potenziell Fluchtwillige das mit eigenen Augen sehen könnten, würden sie wohl den nächsten Fleischerladen plündern und den Fluchtkoffer packen ... die Hunde sind alles andere als geeignet, jemandem Angst einzujagen.

Unser LO schnauft noch einmal und greift dann den vor uns liegenden Berg an. Dieser nennt sich Grenzkopf und weist zwischen den ehemaligen PoP 103 und 105 eine solche Steigung auf, wie man sie nur sehr selten auf Straßen vorfindet.
In den folgenden beiden Wintern, die ich an der Grenze erleben werde, wird dieser Umstand noch mehrfach eine wichtige Rolle spielen.
Es wird einerseits dazu führen, dass Alarmgruppen bei Auslösungen des Grenzsignalzaunes erst extrem verspätet an den befohlenen Abriegelungspunkten eintreffen werden, weil sie ihr Kfz auf halber Strecke stehen lassen und zu Fuß weiter gehen müssen und andererseits auch, dass manche Ablösungen schier endlos dauern, weil Fahrzeuge diese Stelle aufgrund ihrer Extremsteigung nicht passieren können.

Und auch ich werde hier in 2 Tagen meine erste Einweisung als Kontrollstreife erleben und werde mal wieder vieles vergessen können, was ich in der Ausbildung gelernt habe.

Schnaufend und keuchend kämpft unser LO mit dem Berg und besiegt ihn.
Beidseitig der Grenze steht Mischwald und den Begriff "grüne Grenze" finde ich 100% zutreffend. Große Buchen stehen links, d.h. freundwärts des Kolonnenweges, rechterhand und bereits im Hessischen sehe ich vorwiegend Fichten.

2011 werde ich erfahren, dass auch hier Schleusungen durchgeführt wurden. Dieses Waldstück eignet sich hervorragend dafür, beidseitig nur kleine Waldwege, keine Einseh- bzw. Beobachtungsmöglichkeiten.
Man könnte meinen, Hollywood hat diesen Bereich hier für Spionagefilme und ähnliche filmische Zwecke extra so gebaut.
Aber die Hollywood-Filmstudios werde ich erst 2008 mit eigenen Augen sehen, sodass ich das noch gar nicht wissen kann ...

An einem Punkt, den ich zivilistisch Aussichtspunkt nennen würde, hält unser LO und wir steigen ab.
Es ist ein herrlicher Ausblick auf das hessische Tann, das zu unseren Füßen liegt. Ich erfahre, dass dies der PoP 110 ist (ich muss an Peter Borgelt und Jürgen Frohriep denken und die Titelmusik des "Polizeirufes 110" geht mir plötzlich nicht mehr aus derm Kopf).
Neben dem PoP 2 ist dies der zweite Punkt, den ich mir von den zu merkenden 150 nebst Geländebezeichnungen und anderen Besonderheiten sofort verinnerlichen werde.
Da drüben lebt also der Klassenfeind, geht es mir durch den Kopf. Ich bin fest entschlossen, meinen Dienst ernst zu nehmen und mein Bestes zu geben.

Kurioserweise steht tatsächlich in unmittelbarer Nähe des Kolonnenweges am Waldrand eine Bank.
Eine Bank!
Eine ganz normale Sitzbank aus Holz, wie man sie sonst in Parkanlagen findet. Ich kanns nicht glauben, frage aber nicht nach.
Nichtgrenzer sollten an dieser Stelle wissen, dass das Postenpaar lt. Befehl die Rundumbeobachtung zu organiseren hat.
Es ist wohl an dieser Stelle müßig, darauf hinzuweisen, dass dies mit nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten verbunden ist, wenn beide darauf sitzen und sich am Anblick Tanns erfreuen ...
In späteren Schichten wird mir klar, dass diese Bank von Waldarbeitern viel weiter hinten im Wald aufgestellt wurde, jedoch von Grenzern quasi zur Diensterleichterung und allgemeinen Erfreuung an den Kolonnenweg getragen wurde.

Tann ist eine hessische Kleinstadt und man kann mit dem Fernglas teilweise auf den Marktplatz schauen, allerdings sieht man nur wenig. Seit Grenzergenerationen hält sich hartnäckig das Gerücht, dass das rosafarbene Haus, das einem beim Anblick dieses Städtchens sofort auffällt, ein Puff sei.
Männerfantasien werden beflügelt und der faule, absterbende und parasitäre Kapitalismus (so hatte ichs im Staatsbürgerkundeunterricht gelernt) scheint mal wieder sein wahres Gesicht zu zeigen.
Nach Grenzöffnung werde ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass es kein Puff ist. Und ich werde die Blut- und Leberwurst des gegenüber dieses Hauses liegenden Fleischers lieben lernen ... aber bis dahin dauerts noch ...

Der Oltn. und der Soldat essen ein Lungenbrötchen, beachten peinlich genau die Waldbrandgefahr ... danach geths auf zur letzten Etappe. Vor uns liegen noch 10 km, danach beginnt der Verantwortungsbereich des 3. Bataillons.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Olaf Sch. » 7. August 2020, 07:02

Danke für den gut geschriebenen Bericht! Mein Blick aus meinem Fenster war auf den Priwall und die Passat ach ja und das Maritim Hotel... mein Gedankengang - da ist also die Freiheit!
Olaf Sch.
 

Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon augenzeuge » 7. August 2020, 07:56

Männerfantasien werden beflügelt und der faule, absterbende und parasitäre Kapitalismus (so hatte ichs im Staatsbürgerkundeunterricht gelernt) scheint mal wieder sein wahres Gesicht zu zeigen.


Sehr schön! [flash]

Aber auch sonst bringt mir deine Schilderung sehr viel.

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 7. August 2020, 11:15

AkkuGK1 hat geschrieben:Danke für den gut geschriebenen Bericht! Mein Blick aus meinem Fenster war auf den Priwall und die Passat ach ja und das Maritim Hotel... mein Gedankengang - da ist also die Freiheit!


Priwall stand vor wenigen Monaten auf meinem Plan. Und endlich hatte ich es geschafft, mir dieses Stück Grenze anzusehen. Meine Vorstellung damals war abweichend von der Realität. Ich dachte, man hätte den Grenzzaun in die Ostsee gebaut. viel sieht man inzwischen nicht mehr. einerseits gut, andererseits verblassen somit immer mehr ca. 45 Jahre jüngerer deutscher Geschichte.
Und die "Passat" ist natürlich ne Augenweide, die Fernweh weckt und bei mir bei der richtige Zielgruppe gelandet ist.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Olaf Sch. » 7. August 2020, 16:23

nein, der Streckmetallzaun verlief parallel zur Küstenlinie in einem Abstand von ca 30 Metern. Wurde mit Signalgeräten abgesichert.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 7. August 2020, 18:38

Schon klar. Ich meinte meine Sichtweise vor www-Zeiten (um 2000). Später konnte man dieses Stück Grenze ja auf vielen Fotos im www sehen.
Zu DDR-Zeiten war es ja erst recht undenkbar, ein Foto/Stück Grenze mit Erklärungen zu sehen.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 7. August 2020, 20:23

Grenzertagebuch 11


Inzwischen sind wir im letzten der 4 Abschnitte angekommen, für die das 2. Bat. verantwortlich zeichnet. Wir befinden uns im SiA 8, es wird der Abschnitt, der für mehr als 1 Jahr quasi mein "Hausabschnitt" werden wird, da die 8. GK Andenhausen, in die ich versetzt wurde, für diesen hier verantwortlich ist.

An besagtem PoP 110 erklärt uns der Oltn. auf meine Nachfrage, woher man denn genau wissen kann/soll, wo welcher Abschnitt endet und wo der nächste beginnt, dass man zunächst die Postenpunkte lernen müsse und dann zeigt er uns noch eine kleine "Besonderheit": Am PoP 110, der den 7. vom 8. Abschnitt trennt, befinden sich in der Grenzmeldenetzsäule zwei Eingänge statt des sonst üblichen einfachen Zuganges zum Grenzmeldenetz.
Der rechte verbindet den Posten mit der Führungsstelle SiA 7, während der rechte Anschluss den direkten Kontakt zur Füst 8 herstellt.
Klasse, denke ich mir - wieder was gelernt.

Unser LO setzt die Fahrt fort und der Fä. spricht plötzlich vom Pfeffersack. Ich muss an Nikolaus denken, jedoch meint er damit das bewaldete Gebiet, an dessen vorderer Spitze sich auch der PoP 110, der Tannblick, emporschiebt und diese herrliche Sicht in die Rhön Richtung Tann ermöglicht.
Es geht allmählich bergab und dunkelgrüne Nadelwälder säumen den Kolonnenweg in freundwärtiger Richtung. Stellenweise erblicke ich den hinteren Zaun, den Grenzsignalzaun. Auf westlicher Seite sehe ich viele kleine Gehöfte, Traktoren, Scheunen und natürlich Kühe.
Die Bauern bewirtschaften ihre Felder, die hier (logischerweise) direkt bis an die Staatsgrenze reichen.

An eben jener Stelle, die wir just in diesem Augenblick passieren, wird es 1984 zu einer ungewöhnlichen Festnahme (Grenzdurchbruch BRD-DDR) kommen: Ein hessischer Jungbauer wird über den Grenzzaun 1 in die DDR klettern, weil er mit unbekanntem, jedoch nicht unerheblichem Promillegehalt den eigenen Hof nicht mehr finden wird, sich aber gemerkt hat, dass er, wenn er seinen Schlüssel nicht mehr findet, auch über den Zaun auf den Hof kommen kann. Und so verwechselte er Zaun daheim mit Zaun Staatsgrenze und sorgte für Furore bei den Grenztruppen.

Wir durchqueren eine Senke und hören unter uns einen Bach rauschen. Es ist der Kohlbach und in ca. 6 Wochen werde ich durch diese Betonröhre, durch die der Bach aus Hessen nach Thüringen fließt, zu meinem ersten Feindwärtseinsatz aufbrechen. Dieser wird nachts stattfinden und er wird zu den aufregendsten Erlebnissen meiner GT-Zeit gehören.

Erneut treffen wir einen Posten, der sich ganz und gar nicht unauffällig verhält und der fast direkt auf dem Kolonnenweg hockt und unser Missverständnis erfährt.

An einem festen, aus Beton errichteten Häuschen, dass von der Wasserwirtschaft des Bezirkes Suhl genutzt wird, hält der LO wieder und ich erfahre, dass sich hier der PoP 126 befindet.
Der Oltn. weist uns darauf hin, dass sich hier eine "wahrscheinliche Richtung der Bewegung eines Grenzverletzers" befindet und dieser Bereich durch 2 ständige Posten befehlsmäßig abgesichert wird.
Die Annäherung aus dem Hinterland ist günstig, da der Waldrand eine hervorragende Deckung bietet und eine nahezu perfekte Annäherung ermöglicht und diese nur von sehr aufmerksamen Posten (tagsüber) wahrgenommen werden kann.
Deshalb befinden sich am Waldrand auch viele Postensignalgeräte, die mit Drähten verbunden sind und die entweder mit Platzpatronen oder im Winter mit Gefechtsfeldbeleuchtungsraketen aufgefüllt werden.
Da sich im und am Wald naturgemäß auch viele Rehe, Wildschweine und anderes Getier aufhalten, werde nicht nur ich hin und wieder ins Schwitzen kommen, da Auslöseursachen nicht immer und auch nicht zeitnah ursächlich erfasst bzw. aufgeklärt werden können.

Zu Silvester übrigens werden diese Signalgeräte auch schon mal zweckentfremdet genutzt und die sich gerade im Grenzdienst befindlichen Posten feiern auf eine ganz spezielle Grenzerart den Jahreswechsel.

Wir setzen unsere Fahrt fort und halten an der ehemaligen Ortsverbindungsstraße, die früher (und heute wieder) Andenhausen mit Tann verbunden hat. Hier handelt der Fahrzeugposten (meistens ein LO), der innerhalb eines kurzen Bereiches von ca. 700 Metern eingesetzt ist und im hinteren Teil des Abschnittes, direkt am Grenzsignalzaun, das eigene Hinterland aufzuklären hat.

Von dieser Stelle hier, dem PoP 128, gibts viel Interessantes und Amüsantes zu berichten ...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 9. August 2020, 22:11

Grenzertagebuch 12

Vor uns liegen die letzten ca. 6 km des SiA 8 und noch immer stehen wir am PoP 128. Direkt am Kolonnenweg steht ein kleiner Bunker, der hin und wieder vom dort handelnden Posten oder auch von einem Grenzaufklärer mit spezieller Fototechnik benutzt wird, um den bitterbösen Klassenfeind auf Zelluloid zu bannen.

Im Herbst des Jahres 1982 wird es hier zu einem Vorfall kommen, der nicht unerhebliche Konsequenzen für den eingesetzten Postenführer haben wird.
Er wird den Befehl erhalten, im Bunker Stellung zu beziehen und das gegnerische Gelände aufzuklären.
Seine Dienstzeit hat er bis dato ordentlich über die Bühne gebracht, aber in eben jener Spätschicht werden ihm seine Hormone einen Streich spielen und er selbst wird sich extremst darüber ärgern.
Direkt am Schlagbaum werden sich in den Nachmittagsstunden des herrlich sonnigen Altweibersommers 1982 zwei ganz und gar nicht alte sondern junge und auch noch ausnehmend hübsche und sehr gut gebaute junge Frauen sonnen.

Und auch wenn mancher meinen sollte, dass man im Westen etwas verklemmter als im Osten sei, so strafen eben diese beiden jungen Frauen den Behaupter dieser Aussagen Lügen, indem sie sich dort entblättern und sich so geben, wie sie einst auf die Welt gekommen sind.
Natürlich haben sie mittlerweile am vorderen Oberkörper jeweils 2 Beulen bekommen, auf die man(n) natürlich gern schaut. Der Bunker wird für den handelnden Posten offenbar zu eng (........................ kurzes Nachdenken bitte ... denn manch einer braucht ne Weile, um dieses Späßchen sofort zu verstehen .................................) und mit seinem Bandmaß, das ca. noch einen halben Meter misst, klettert er auf den Bunker, ruft beide Mädchen an, freut sich und winkt wie besessen ... und kann das Klicken der Fotoapparate auf westlicher Seite nicht hören. Offenbar hat man "drüben" genau auf solch einen Moment gewartet!
Freundlich, wie junge (für dieses Späßchen offenbar auch bezahlte) Mädchen nun mal sind, winken sie zurück und zwischen den Dreien kommt es zum kurzen Wortwechsel, der jedoch nicht näher dokumentiert wird.

Wie akrobatisch und gestenreich sich jener Postenführer/Gefreite auf dem Bunker verhalten hat, wird er sich wenige Tage später mit eigenen Augen im Bataillonsstab anschauen können. Es sollen erstklassige Fotos gewesen sein, die ihn einige Tage gesiebte Luft und Nachdienen im Regimentsstab kosten werden.

In freundwärtiger Richtung befindet sich der sogenannte Dreibock. So nennt sich eine Wegegabelung, an der der hier eingesetzte, ständige Posten oft den LO abzustellen hat.
In 2 Jahren werde ich mit meinem Nachfolger hier in einer letzten Nachtschicht ein solches Abenteuer in mannshohen Brennnesseln (schreibt man tatsächlich mit 3x n) beim sogenannten "Postenklatsch" (Kontrolle der eingesetzten Posten in der Nachtschicht) erleben, bei dem er mir in der letzten Minute meines Abschiedes gestehen wird, dass er sich dabei vor Angst ein wenig in die Hosen gemacht hat. [shocked]
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass dies kein Grenzerlatein ist, sondern dass es sich wirklich so zugetragen hat.

Unsere Fahrt setzt sich fort und wir durchqueren die Teufelsschlucht. Woher der Name stammt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Nach einem schweren Unwetter werde ich hier einige Monate später eine Mine auf dem Kolonnenweg sehen, die es aus der Minensperre heraus gespült hat und die mich zum Nachdenken bringen wird. Sie sieht aus wie eine Schuhcremedose.
Der Ehrlichkeit halber sei hier zugegeben, dass nicht ich sie gesehen habe sondern mein LO-Kraftfahrer, der ein sehr guter Fahrer und ebenso guter Posten und später auch überaus verlässlicher Postenführer war. Steffen B. aus Lunzenau.

Vor uns erhebt sich wieder ein steiler Berg, der jedoch nur kurz ist. Gleich darauf biegt unser LO nach links ab und hält vor einer Bretterbude, die aussieht, als hätte man sie vom letzten Weihnachtsmarkt versehentlich in den Abschnitt gebracht.

Noch ahne ich nicht, dass dies die alte Führungsstelle des SiA 8 ist, die man hier liebevoll "Bockwurstbude" nennt und in der ich nachts meine 2. Schicht als Kommandeur des Sicherungsabschnittes (K-SiA) erleben werde und dir mir unheimlich werden wird ...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon augenzeuge » 10. August 2020, 15:03

Und auch wenn mancher meinen sollte, dass man im Westen etwas verklemmter als im Osten sei, so strafen eben diese beiden jungen Frauen den Behaupter dieser Aussagen Lügen, indem sie sich dort entblättern und sich so geben, wie sie einst auf die Welt gekommen sind.

Jetzt hast du den Edelknaben begeistert. [grin]

Sonst, schöne Story.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Bahndamm 68 » 10. August 2020, 15:36

Grenzertagebuch 12

Mit großem Interesse lese ich den Grenztagebuch. Dafür meinen herzlichen Dank.
Ähnliches, wie mit deinen beiden Landschönheiten, konnte ich zu meiner Zeit beobachten.
In Hötensleben waren die Wohnhäuser direkt am Sperrbereich. Es versteht sich, nur die parteifreundlichsten Personen durften da wohnen.
Im ersten OG eines Wohnhauses hatte eine 14-16-jährige Dorfschönheit ihr Schlafgemach. Ein kurzes Pfeifen der Grenzer brachte Bewegung hinter dem Fenster in den Gardinen. Je nach Zimmertemperatur öffnete sie ihre Bluse oder hob den Pulli hoch. Das ging so ca. 14 Tage. Es wurde daraus ein Kompaniegespräch. Es war dann eine Frage der Zeit, dass diese Dorfschönheit, sprich Schulmädchen ein anderes Zimmer im Haus beziehen musste. Der parteifreundliche Vater hatte von den Nachtgeschichten Wind bekommen.

Unvergessen bleibt die die Episode.

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Olaf Sch. » 10. August 2020, 16:16

@Bahndamm, du bist ja heute noch janz uffjerecht! [hallo]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Bahndamm 68 » 10. August 2020, 17:28

AkkuGK1 hat geschrieben:@Bahndamm, du bist ja heute noch janz uffjerecht!

So lang wir die Aussichten hatten, haben wir es genutzt und anschließend, wahrscheinlich zu breit und zu offen in der Kompanie erzählt. Obwohl gerade dieser Bodenbereich sehr morastig gewesen – schlechte Sitzmöglichkeiten – war es für eine gewisse Zeit ein begehrter Postenplatz.
Durch die Vergatterung wussten wir ja nun, wer links oder rechts in Abstand max. 100m neben dir stand. Da kam es schon vor, dass für eine kurze Zeit auch 2 Postenpaare zusammenstanden. Einer davon konnte nur mit einem Auge zuschauen, mit dem anderen Auge hatte er zu Wege der Streifen im Blickpunkt. Kurioserweise sind wir aber nie ertappt worden.
Großes Rätselraten ist nur aufgekommen, weil sie dann am Tag „X“ nicht mehr im Fenster stand. Über einen Kameraden, der 2 Häuser weiter eine Freundin hatte, kam die Information, dass der Vater Theater mit ihr angestellt hatte.

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 10. August 2020, 17:51

Bahndamm 68 hat geschrieben:
Grenzertagebuch 12

...
In Hötensleben waren die Wohnhäuser direkt am Sperrbereich. Es versteht sich, nur die parteifreundlichsten Personen durften da wohnen.
...

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Es waren nicht zwingend die mit Parteibuch oder die SED-Freundlichen, die sehr nahe am oder im Schutzstreifen oder dem Grenzsignalzaun GSZ wohnen durften. Oft waren es Gründe, die etwas mit Bindung an den Hof oder Verlässlichkeit ganz allgemein zu tun hatten. Echte Heimatverbundenheit und Familie waren bspw. sehr wichtige Kriterien.
Demnächst schreibe ich was zu einem Rhöner Original aus Apfelbach, der am und im Sicherungsabschnitt 7 als Zivilist und Nichtangehöriger der Grenzutruppen Dinger abgezogen hat ... das glaubt kein Mensch! Der war nicht in der Partei.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Volker Zottmann » 10. August 2020, 17:59

Dann mal los OaZ, wir lauern schon. [super] Schreibst sehr gut, kurzweilig und informativ.

Gruß Volker
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 10. August 2020, 18:38

Grenzertagebuch 13


Unser LO wird auf dem Abstellplatz neben der "Bude" geparkt und wir betreten diese. Sie ist aus Holz.
Im Inneren hat sie gar nichts weihnachtlich Anheimelndes mehr und mir wird klar: Auch das hier ist ne Führungsstelle, allerdings sieht sie eben von außen nicht so aus.

Die Abschnittskarte rechts vom Schreibtisch ist so aufgestellt, dass man durch das Fenster hindurch immer noch die wirklich schöne Landschaft in Richtung Teufelsschlucht einsehen und dabei auf das verträumte Dörfchen Andenhausen blicken kann. Auf der Füst sitzt ein Uffz. mit mehrfach geknickten und lädierten Schulterstücken. Ich erfahre, dass er nur noch 2 Monate zu dienen hat.
Ich empfinde keinen Neid, freue mich ja auf meinen Dienst an der Staatsgrenze und gönne ihm sein baldiges ziviles Leben in der LPG.

Wir erhalten eine theoretische Einweisung von ihm und dem Oltn., erfahren dabei auch, dass dieser Abschnitt zwar zum Bereich des 2. Bat. gehört, er verkehrsanbindungsmäßig jedoch schneller vom 3. Bat. erreicht werden kann, wenn es zu schwierigen Lagen an der Grenze kommen sollte. Das hat etwas mit der Höhe ü NN zu tun. Der SiA 8 gehört quasi schon fast zur Hohen Rhön, während die SiA 5, 6 und 7 im Tal bzw. im flacheren Land liegen. Flach ist allerdings in der Rhön sehr relativ ...

Solch eine schwierige Lage werde ich einmal im tiefsten Rhön-Winter miterleben. Meine Erinnerungen daran sind noch hellwach. Es wird das einzige Mal in meinem Grenzerleben sein, dass ich den Ausrückbefehl erhalte und nicht wenig alkoholisiert und mit Doppelbewaffnung zur Abwehr eines versuchten Grenzdurchbruches eingesetzt werde.
Der Grenzdurchbruch wird gelingen, unser Einsatz wird für die Katz sein. Dazu später vielleicht mal mehr.

Es gibt im hiesigen Abschnitt 2 WRG (wahrscheinliche Richtungen der Bewegungen potenzieller Grenzverletzer). Die eine ist mir bereits bekannt, sie betrifft den Bereich Kohlbach. Die zweite Richtung befindet sich nur wenige Meter oberhalb bzw. südlich der Füst. Das im Hinterland befindliche Waldgebiet (der Horbel) bietet eine perfekte Tarnung für die Annäherung an den Schutzstreifen. Hier werden bevorzugt und regelmäßig (nach einem Dienstplan!) die freiwilligen Helfer der GT eingesetzt, die als Pilzsucher, Spaziergänger oder eben auch ganz öffentlich mit der FHGT-Armbinde im Hinterland unterwegs sind.

Wir sitzen wieder auf und bereits nach wenigen Metern erklärt uns der Fähnrich, dass wir nun das Sauergehäu passieren. Dieses morastige Gebiet zwischen den ehem. PoP 138 und 143, das ein herrliches Biotop darstellt und in dem ich in mehreren Schichten viel über die Natur erfahren werde, wird mich in immerwährender Gleichheit an den schlimmsten Vorfall aus und in der Geschichte der GT, den bewaffneten Grenzdurchbruch von Weinhold, erinnern.
Man kann nicht alles rational begründen, ich werde hier jedoch immer an das erinnert, was ich bereits 1981 darüber wusste: dass er aus dem Wald kam und auf schnellstem Weg die westliche Seite erreichen wollte und dass es verdammt kalt gewesen sein muss.
Auch hier wirds im Winter besonders kalt, einerseits bedingt durch das viele Wasser, das hier entlang fließt, andererseits nähern wir uns hier bereits der Hohen Rhön und sind geografisch gesehen deutlich höher als in den SiA 5 bis 7.

Meine Einweisungen in Naturkunde werde ich von einem meiner Soldaten erhalten, der im zivilen Leben als Förster tätig ist und der eine tolle Art hat, Wissen rund um die Natur zu vermitteln. Er wird mir geduldig erklären, woran man beim Gewölle erkennt, welche Maus bzw. Ratte der Raubvogel da gerade ausgewürgt hat und wird mir Spuren in der Natur zeigen, die mich fühlen lassen, dass es hier in der Wildnis tatsächlich schön sein kann.

Einiges von dem, was ich später als Papa meinem kleinen Sohn in der Natur erklären werde, habe ich von ihm gelernt. Danke, Soldat Hoppe!

Das Sauergehäu ist ca. 2,5 km lang und bis zu 800 m tief (ich schätze gerade, habe keine Karte vor mir). In ihm tummeln sich viele Wildtiere und es wird keine Schicht geben, in der nicht mindestens ein Signalgerät von Wild ausgelöst werden wird.
Man sagt, der größte Auskenner in diesem Bereich sei der Hauptfeldwebel der 8. GK (Christfried, bist du hier angemeldet? Liest du mit?), der bereits im heimatlichen Vogtland mit ner Grenzsäule auf die Welt gekommen sein muss und in den 1960ern in die Rhön kam.
Seine Frau kocht übrigens heute im Point Alpha (Geisa / Rasdorf) mit anderen fleißigen Frauen die leckersten Speisen. Meine Empfehlung!

Wir fahren entlang des Kolonnenweges weiter nach Süden und haben nunmehr den gesamten Bataillonsabschnitt geschafft.
Der Oltn. lässt an der Trennungslinie zum 3. Bat. halten, wir sitzen ab. Hier gibts nichts Spektakuläres, allerdings ist hier tatsächlich eine natürliche Gegebenheit, die das 2. und das 3. Bat. trennt - ein kleines Bächlein, ca. 10 cm breit. Niedlich. Das merke ich mir, das ist nicht schwer.
Auch hier handelt ständig ein Posten, der sich jedoch etwas weiter nördlich, nämlich am Waldrand (ehem. PoP 145) aufhält.

Später werde ich hier ein kleineres Abenteuer erleben und der Posten wird alles andere als amüsiert sein, wenn er von seinem Zugführer "ans Knie gefasst" wird, wie man im Grenzerjargon sagte, wenn man die nächtliche Kontrollstreife nicht bemerkte und diese plötzlich 2 Meter vor einem stand oder in der Auswertung des Dienstes berichtete, worüber Gefr. A mit Soldat B. um 02:43 Uhr gesprochen hatte, wenn man sich als Kontrollstreife nicht zu erkennen gibt und wieder lautlos den kontrollierten Posten verlässt. Für den Posten war das dann immer die Höchststrafe, denn im Ernstfall hätte er das nicht überlebt.

Mein wirklich erster praktischer Tag an der Grenze, die Theorie mal abezogen, ist hiermit beendet.
OaZ
 
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