Er wollte unbedingt in die DDR und wurde erschossen

Er wollte unbedingt in die DDR und wurde erschossen

Beitragvon Interessierter » 5. September 2020, 11:05

Joachim Weinhold

Nachdem er vergeblich um die Aufnahme in die DDR gebeten hatte und man ihn in die Bundesrepublik abschob, entschloss sich Joachim Weinhold zum illegalen Grenzübertritt. Auf DDR-Gebiet entdeckte ihn eine Postenstreife. Als er zu flüchten versuchte, wurde er niedergeschossen.

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Bildquelle: Universitätsarchiv FUB

Mit einem Koffer und einer Aktentasche reiste Joachim Weinhold am 7. Juli frühmorgens um 6.20 Uhr von Groß Ellershausen ab. Er hatte eine Fahrkarte nach Berlin gelöst. Nach dem Grenzübergang Marienborn folgte als nächster Halt in der DDR die Bezirksstadt Magdeburg. Spontan verließ er hier den Zug und bat bei einer Dienststelle der Volkspolizei um Aufnahme in die DDR. Doch solch ein Anliegen musste der Ordnung halber an einer Grenzübergangsstelle vorgebracht und bearbeitet werden. Deshalb schickte man ihn zurück nach Marienborn. Dort vernahm ihn ein Ermittler des Staatssicherheitsdienstes. Weinhold erklärte, er wolle in die DDR übersiedeln, weil er Schwierigkeiten mit seinen Universitätsdozenten habe. Nicht verborgen blieb, „daß sein Nervenzustand nicht in Ordnung war”, wie es in dem Vernehmungsprotokoll heißt. Auf Nachfrage gab Weinhold zu, dass er in nervenärztlicher Behandlung war. Das besiegelte die Ablehnung seines Übersiedlungswunsches. Da „kein operatives Interesse vorlag”, wurde er am 8. Juli 1962 um 13.45 Uhr „konspirativ” mit einem Interzonenzug in die Bundesrepublik abgeschoben.

Joachim Weinhold verließ den Zug in Helmstedt und übernachtete in einer Unterkunft der Zonenrandbetreuung. Am 9. Juli war er früh wieder auf den Beinen. Vielleicht wichen nun alle Ängste, aber auch das Wissen um die Gefahren des Grenzgebietes einem trotzigen Wagemut. Er wollte unbedingt in die DDR. Gegen 4 Uhr morgens versteckte er sich in einem Militärzug der West-Alliierten, der kurz darauf nach Berlin abfuhr. Etwa 40 Meter hinter den Grenzzäunen sprang er mit seinem Gepäck vom Zug. Das bemerkten zwei DDR-Grenzer, die den Mann aus dem Militärzug vermutlich für einen Spion oder feindlichen Eindringling hielten. Als Weinhold nach einem Anruf und einem Warnschuss versuchte, in Richtung Westgrenze zurück zu laufen, schoss der Grenzsoldat Hans-Peter V. mit seinem Karabiner gezielt auf den Flüchtenden. Eine Kugel durchschlug Joachim Weinholds Körper.


Bei der späteren Obduktion stellte sich heraus, dass sie ihn im Rücken traf, mehrere innere Organe verletzte und aus dem Bauch wieder austrat. Der Verletzte wurde zunächst zur Poliklinik in Harbke gebracht und nach der Erstversorgung wegen der schweren Verletzung in das Kreiskrankenhaus Neindorf/Oschersleben überführt. Dort stellte der behandelnde Arzt neben der Schusswunde auch eine Bauchfellentzündung (Peritonitis) fest. Joachim Weinhold war benommen, auf Fragen antwortete er nur noch unter großer Anstrengung. Am nächsten Abend um 19.10 Uhr hörte sein Herz auf zu schlagen.

Zwei Wochen später teilte der Staatsanwalt des Bezirkes Magdeburg Frau Weinhold den Tod ihres Stiefsohnes mit. Er sei „bei dem unter Mißbrauch eines alliierten Militärzuges vorgenommenen gewaltsamen Eindringen in die Deutsche Demokratische Republik ums Leben gekommen”. Mit der Post bekam sie seinen Koffer und die Aktentasche zugesandt. Die Urne mit seiner Asche wurde auf einem Friedhof in Berlin-Neukölln beigesetzt.


Im November 1995 klagte die Staatsanwaltschaft Magdeburg den Todesschützen Hans-Peter V. an. Auf Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 27. März 1997 wurde das Verfahren jedoch wieder eingestellt. Der Schütze habe entsprechend seiner Befehlslage und der seit 1961 gültigen DDR-Schusswaffengebrauchsbestimmung gehandelt. Das Oberlandesgericht Naumburg wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Einstellungsbeschluss mit der Begründung ab, die DDR-Bestimmung entspreche „grundsätzlich den Bestimmungen der Bundesrepublik für den Schusswaffengebrauch im Grenzdienst” (§11 UZwG). Hans Peter V. habe geglaubt, nur durch die Anwendung der Schusswaffe könne ein Verbrechen verhindert werden.

https://www.fu-berlin.de/sites/fsed/Das ... index.html
Interessierter
 

Re: Er wollte unbedingt in die DDR und wurde erschossen

Beitragvon Edelknabe » 5. September 2020, 16:56

Was sagst du Interessierter, Opfer oder im irgendwie dann tragischen Verlauf den Tod selbstverschuldet?

Rainer Maria
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