Mein "eigener Bitterfelder Irr-Weg" oder die Bespitzelung der "Literaturbewegung" durch das MfSIn der Schule lag es mir, Aufsätze zu schreiben und manchmal - um vor der Klasse zu "glänzen" mit eigenen Gedichten zu "garnieren". In Deutsch hatte ich immer entweder eine Eins oder Zwei, Mathe dagegen Drei bis Vier. Später, als ich in der SED-Bezirkszeitung Freie Erde einmal ein Herbstgedicht veröffentlicht hatte, lud mich der Leiter des Zirkels Schreibender Arbeiter in Neustrelitz, Otto Teuscher, zum Treffen der Gruppe ein. Schreibende Arbeiter, das waren laut Bitterfelder Weg schreiberisch und "literarisch" begabte Werktätige - meist Lehrer oder Verwaltungsmenschen, Arbeiter im wahrsten Sinne des Wortes, die ihr Geld mit körperlicher eigener Hände Arbeit verdienten, weniger. Und diese" Schreibenden Arbeiter" sollten nun ihre Talente in den propagandistischen "Dienst der Arbeiterklasse" stellen und in ihrer Freizeit Geschichten oder Gedichte schreiben und darin die Politik der SED helfen zu verherrlichen, vielleicht auch Heimatgeschichten - aber alles brav im Sinne der "Partei der Arbeiterklasse". Darüber wachte der Leiter des Zirkels Schreibender Arbeiter, der darauf achtete, dass niemand allzu kritisches gegen die SED und den Staat schrieb oder gar nicht genehme Fragen in seinen vorgelegten Arbeiten stellte. Auch Stasi-IMs wachten im Zirkel mit.
Und meine ersten "proletarischen Gedichte" hatten folgende "Qualität": "Funken aus der Zündpistole/ und Flammen peitschen aus dem Brenner, das Rohr geschweißt/ und doch nicht routiniert/ ein falscher Griff/ was brennt da in der Hand wie Glut/ doch mit zusammen gebissenen Zähnen wird weiter gezogen/ Naht um Naht..." Der Inhalt war nicht so wichtig wie die Veröffentlichung auf der Kulturseite der Freien Erde und das Honorar von 25 DDR-Mark. Und man bildete sich manchmal ein, deshalb wer zu sein...
Später nach der Lehre war ich als Rohr-Monteur "richtiger schreibender Arbeiter", eine der echten wirklichen Arbeiter, kein "Sesselfurzer oder Tintenpisser", wie im Volksmund hinter vorgehaltener Hand Funktionäre oder Verwaltungsangestellte in der DDR hießen. Und als "echter schreibender Arbeiter" gehörte ich bald zum Gefolge manches SED-Sekretärs oder anderer Bonzen bis zu zu Margarete Müller, Kandidatin des Politbüros. Man bildete sich selber darauf anfangs etwas ein. Der Volksmund nannte einen dagegen treffender "Hofnarr im Bonzengefolge". 1972 durfte ich mit zum alljährlich im Sommer im Schweriner Schloss stattfindenden "Poeten-Seminar" der FDJ. Und da witzelten die anderen Teilnehmer schnell über meine "Arbeitergedichte", von denen eins so anfing: "Vom Hirn fliegt ein Befehl in muskelschwere Arme". Zu den ganz Muskelschweren gehörte ich selber weidlich nicht
Später versuchte ich es in Prosa. Das klappte wohl besser und wurde eher gelesen (so auch die Geschichte "Derricks Fischzug", die ich später für meine heutige Homepage nochmal überarbeitet habe). Ich wurde nach Neubrandenburg zur Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren eingeladen, die zu Beginn der 70er Jahre vom Literaturwissenschaftler Dr. Tom Crepon geleitet wurde. Crepon war wie ich damals noch SED-Mitglied und vom Rat des Bezirkes Neubrandenburg als Leiter des Literaturzentrums Neubrandenburg angestellt. Sein Job war es, Berufsschriftsteller wie Helmut Sakowski (mehrteiliger DDR-Fernsehfilm "Wege über das Land"), Franz Freitag, Joachim Wohlgemuth oder den Lyriker Werner Lindemann auf Parteilinie zu halten und zu kontrollieren. Crepon leitete aber auch die Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren des Literaturzentrums an. Ihnen sollte, waren sie versprechende Talente, bei der Entwicklung ihrer Romane oder Gedichte geholfen werden, aus ihnen sollte Schriftstellernachwuchs werden. Und darüber, dass sie getreu der SED und ihrer Politik schrieben und keine "klassenfeindlichen Werke" verfassten, wachte der IM Tom Crepon, wie man plötzlich nach der Wende in seinen eigenen Stasi-Akten las. Als Inoffizieller Mitarbeiter der MfS-Bezirksverwaltung Neubrandenburg überwachte Crepon neben den "Jungen Autoren" auch die beruflich tätigen Schriftsteller und berichtete über deren "Treiben" seinen Führungsoffizieren von der MfS-BV. So bespitzelte er auch die der DDR kritisch gegenüber stehende in Neubrandenburg wohnende über die DDR-Grenzen weit hinaus bekannte Schriftstellerin Brigitte Reimann (1933 - 1973, Franziska Linkerhand). Heute lebt Crepon in Lückeck. Aber auch Schriftsteller wie Freitag oder Wohlgemuth bespitzelten als Stasi-IMs ihre Autorenkollegen nach Strich und Faden.
Ausführliches findet ihr im Internet unter den Sammelbegriffen "Literaturzentrum Neubrandenburg", "Brigitte Reimann" oder "Dr. Tom Crepon".Eines meiner letzten DDR-Gedichte, dort aber nicht veröffentlicht:
Der Ordensträger
Vom Politbüro jüngst dekoriert
war auch ein Truthahn worden.
Es prangte an seines Gefieders Frack
jetzt ein Karl-Marx´ens Orden.
Und wie er sich vor dem Spiegel dreht,
zu prüfen des Ordens Glanz,
ob der zu des Frackes Eleganz
richtig protzend und blinkend steht.
Nun rötet sich noch sein Kopf vor Wahn
hinunter bis an den Hals.
Doch er bleibt ein häßlicher Trutenhahn,
ein Geiferer bestenfalls.
Zuletzt geändert von Hans-Peter am 7. Mai 2010, 12:07, insgesamt 2-mal geändert.