BGH 4 StR 30/01 - Urteil v. 26. April 2001 (LG Schwerin)
Tötungen an der DDR-Grenze; Totschlag; Beihilfe; Grenztruppen; Befehle 101, 80, 20; Versuch; Unvermeidbarer Verbotsirrtum; Mineneinsatz (Rechtswidrigkeit auch gegenüber Grenzübertritten aus der BRD); Menschenrechte
§ 212 StGB; § 27 StGB; § 22 StGB; § 17 S. 1 StGB
Leitsätze des Bearbeiters
1. Die Staatspraxis der DDR, die die vorsätzliche Tötung von Flüchtlingen durch Schußwaffen, Selbstschußanlagen oder Minen zur Vermeidung einer Flucht aus der DDR in Kauf nahm, war wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte nicht geeignet, die Täter zu rechtfertigen (vgl. BGHSt 40, 218, 232). Dies gilt in besonderem Maße für den Einsatz von Splitterminen zur bloßen Durchsetzung des Verbots, die innerdeutsche Grenze ohne besondere Erlaubnis zu überschreiten (BGHSt 44, 204, 209). Der regelmäßig verheerend wirkende unkontrollierbare Einsatz solcher blinder Tötungsautomaten ist eklatant menschenrechtswidrig (BGH aaO).
2. Wegen der Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit scheidet ein Schuldausschluß aus, wenn nicht im Einzelfall ganz besondere Umstände gegen eine Erkennbarkeit des Strafrechtsverstoßes für den Täter sprechen (vgl. auch BVerfGE 95, 96, 142, 143). Die "doktrinäre Einbindung in die - alle gesellschaftlichen Bereiche beherrschende - Ideologie der führenden Partei" stellt keine Besonderheit, sondern für Straftaten der hier gegebenen Art den Regelfall dar. Es bedarf daher besonderer Darlegung, warum ein Angeklagter bei dieser Sachlage (unkontrollierter Einsatz von Splitterminen), in der auch für einen indoktrinierten Menschen der Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot augenfällig war, nicht durch Nachdenken zu einer Unrechtseinsicht hätten gelangen können.
3. Wenn Personen von der Bundesrepublik Deutschland aus das Staatsgebiet der DDR unbewaffnet und ohne Gefährdung allgemein anerkannter Rechtsgüter betreten wollten, ist der Einsatz unkontrolliert wirkender Erdminen zur bloßen Durchsetzung des Verbots, die innerdeutsche Grenze in Richtung auf das Staatsgebiet der DDR ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis zu überschreiten als rechtswidrig zu qualifizieren. Dem richtig ausgelegten Recht der DDR (vgl. hierzu BGHSt 39, 1, 26, 29; 41, 101) kann ein Rechtfertigungsgrund hierfür nicht entnommen werden. Auch insoweit gilt, daß der regelmäßig verheerend wirkende und nicht kontrollierbare Einsatz von Minen an der innerdeutschen Grenze von vornherein eklatant menschenrechtswidrig war.
Den Entscheidungstenor dazu, findet man hier:
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/01/4-30-01.php3